Am Haven von Rotterdam herrschte ein buntes Gewimmel von Geschäftigen und Müßiggängern. Einige von jenen, mit schweren Lasten beladen, schoben langsam aber nachdrücklich diese, die eitle Neugierde oder Langeweile hierher geführt hatte, zur Seite; andere, Papiere in der Hand tragend, Schiffsconsignationen oder Frachtbriefe, drängten sich rasch und lebendig durch die Menge, um die Zeit der Ankerlichtung irgend eines Fahrzeuges nicht zu versäumen.
Eben stimmten die Glockenspiele der Stadt ein Liedchen an, das die sechste Abendstunde bezeichnete, als zwei Männer, denen die Meisten der Anwesenden mit allen Beweisen von Hochachtung und Ehrfurcht auswichen, am Ufer der Maas erschienen. Es waren die zwei Handelsherrn Tobias van Vlieten und Jan van Daalen. Beide wurden für die reichsten Leute der Stadt gehalten, beide wußten das und fanden deshalb nicht für nöthig, die zahlreichen, an sie gerichteten Begrüßungen zu erwiedern. Am Starrsten und Unbeweglichsten schritt Herr Tobias van Vlieten durch die Raum gebende Menge hin. Seine hagere Gestalt ragte fast um Kopfeshöhe über die Nebenstehenden empor und sein braungelbes Angesicht, mit der scharf hervorstehenden Nase und den großen, todten grauen Augen, bot, unter der umfangreichen, weißgepuderten Perücke, einen abschreckenden Anblick. Er trug einen langen, zimmetfarbenen Tuchrock, der trotz des sehr warmen Abends vom Kopf bis auf die Füße zugeknöpft war. Die Knöpfe aber bestanden aus Doppelducaten und erregten, indem sie im Abendsonnenstrahle weithin glänzten, die Begehrlichkeit manches armen Taglöhners, der hier mit schwerer Arbeit wenige Stüber erwarb.
Herr Tobias hatte viele Jahre seines Lebens in Ostindien zugebracht. Aber diese Zeit war für ihn keine verlorene gewesen. In dem Handel mit feinen Spezereien hatte er Millionen gewonnen und während die ungesunde Luft Batavia’s seine besten Kräfte aufzehrte und ihn zu einer lebendigen Mumie ausdörrte, vermehrte sich die Zahl seiner Geldsäcke im wohlverwahrten Gewölbe auf das Ansehnlichste, stiegen von Posttag zu Posttag die Summen, die er nach dem Vaterlande übermachte, daß sie dort sicher und gute Zinsen tragend, angelegt würden. Er hatte auch in Batavia geliebt und in einem kurzen Ehestande gelebt. Die Liebe überschlich ihn, als er vernahm, daß die bleiche alternde Jungfrau Cypriana Hoogendöbel, welche ihm in einer Theegesellschaft gegenüber saß, seit gestern die Erbin von hunderttausend Stück Dukaten geworden sey und ganz allein und verlassen in der Welt stehe, ohne Brüder und Schwestern, ohne Vettern und Basen, die an dem reichen Erbe mitzehren könnten.
Es war ihm zu Muthe, als habe er von der berauschenden Wurzel Bang gegessen, da er dieses vernahm. »Cypriana Hoogendöbel muß die Meine werden!« gelobte er sich selbst mit heißem Schwure. Er näherte sich; er wurde freundlich angesehen und aufgenommen. Besaß denn Tobias nicht auch schon ein Vermögen von mehr als hunderttausend Dukaten? Und hatte denn Cypriana seit gestern nicht das Ansehen und die Bedeutung, welche ein solcher Besitz gab, gehörig schätzen und würdigen gelernt? Der Wunsch, sie nach dem Theeschmause in seinem Wagen nach ihrer Wohnung zu bringen, wurde dem glücklichen Tobias gewährt. Auf diesem Wege sprengte die neu erwachte Leidenschaft ihre Fesseln. Er erklärte sich und ward verstanden, er warb um Cypriana’s diamantenfunkelnde Hand und sie ward ihm gewährt. Wie nun Herr Tobias van Vlieten einen jahrelangen, glücklichen Ehestand mit seiner Hausfrau verlebt, indem er während dieser Zeit fast immer auf Handelsreisen von ihr fern gewesen, das sey hier nur flüchtig berührt. Am Ende dieses Jahres schenkte ihm Cypriana ein Töchterlein; sie selbst aber starb wenige Tage nach der Geburt des Kindes. Ganz Batavia bewunderte die Standhaftigkeit des jungen Wittwers bei diesem Trauerfalle. Niemand sah ihn eine Thräne vergießen. Er verbarg den Gram so tief in seiner Brust, daß seine Freunde ihn nicht einmal ahneten, er besaß Selbstbeherrschung genug, statt der Falten des Kummers, eine zufriedene Heiterkeit auf seiner Stirne zu zeigen. Nur sein schwarzer Anzug, die Trauerflöre, mit denen er reichlich umhangen war, verriethen sein Leid. Die Neugeborene ward nach dem Willen der verewigten Cypriana, die in den letzten Monaten ihres Lebens einige nach Ostindien verirrte französische Schäferromane mit großem Interesse gelesen hatte, Clelia genannt. Clelia hatte eben das achte Jahr zurückgelegt, als ihr Vater, den das Clima zu einer Leiche auszudörren drohete, sich entschloß, nach Europa zurückzukehren. Die liebe Geburtsstadt Rotterdam, mit dem buntbemalten Standbilde des Erasmus auf dem großen Markte, stieg plötzlich in einem Zauberglanze in der sonst öden Phantasie des Herrn van Vlieten empor. Er sah sich selbst, der als ein armer Jüngling die Heimath verlassen, nun als den reichsten ihrer Bürger in den breiten Straßen der Buitenstad auf- und niederwandeln, im vornehmen Dukaten-beknöpften Rocke, mit stattlichem spanischem Rohre, begrüßt und geehrt von jedermänniglich; er sah sich am Nieuwe- und Leuwen-Haven, am Blaak und am Boompjes, am Wynkracht und am Haringvliet, und an allen Orten flüsterte es um ihn: »Seht, das ist Myn Heer Tobias van Vlieten, der dickste Mann von Rotterdam!« Und wie er es prophetisch vorausgesehen im Geist, so geschah es auch. Er wandelte nun schon seit acht Jahren in den Straßen und in den Havenplätzen der Heimathstadt in derselben Weise, die ihm die Ahnung gezeigt, auf seinen Wegen blieben die Leute stehen und raunten denjenigen, die es noch nicht wußten, mit wichtiger Gebehrde ins Ohr, dieses sey der dickste – nämlich der reichste – Mann der Stadt. Wenn dann ein Fremder, dem es unbekannt war, wie bei den Holländern dick mit reich gleichbedeutend sey, die Mumiengestalt des Herrn Tobias van Vlieten mit erstaunten Blicken maß und ungläubig lächelnd den Kopf schüttelte, so konnte wohl sein von Natur phlegmatischer holländischer Freund in Feuer gerathen und Hab und Gut zur Wette anbieten: daß dieses die Wahrheit sey. So war es denn nach und nach gekommen, daß man Herrn Tobias nur schlechtweg und vorzugsweise den Dicksten nannte. Sein Töchterlein Clelia war indessen zu einer anmuthigen und begehrenswerthen Jungfrau herangewachsen.
Der Mann, in dessen Geleit uns Herr van Vlieten zum erstenmale am Ufer der Maas begegnet, war in seinem ganzen Aeußeren der lebendigste Gegensatz zu dem Wesen des erstern. Herr Jan van Daalen maß wenig über vier Fuß, hatte durch die sorglichste Pflege seines Leibes nach und nach einen körperlichen Umfang gewonnen, der ihm, nächst seinen Geldsäcken einen doppelten Anspruch auf die Ehrenbenennung eines Dicken gab, und sah aus dem immer lächelnden runden, weißen und rothen Antlitze jeden mit den nichtssagenden Blicken der gläsernen Augen so geringschätzig an, als seyen alle übrigen Menschen Nullen, er aber und sein Begleiter vielleicht nur allein Zähler in der Seelenliste der Einwohnerschaft von Rotterdam. Seine Kleidung war schlichter und geschmackvoller, als die des Herrn van Vlieten; aber das ächte spanische Rohr, mit dem großen porzellanenen Knopfe oben, prangte auch in seiner Rechten und die stattliche Perücke umgab, wie eine Wolke, die obere Hälfte seiner gedrängten Gestalt. Sein Fuß hatte nie das Weichbild von Rotterdam überschritten. Er hatte das ansehnliche Vermögen, das er von seinem Vater ererbt, durch kluge, wenn gleich geheimnißvolle Speculationen, so bedeutend vermehrt, daß er unter den dicken Leuten der Generalstaaten einen der ersten Plätze einnahm. Immer aber blieb die Art, wie er dazu gekommen, jedermann ein Räthsel. Er hielt keine Schreibstube und keine Gehülfen. Alle Schreibereien machte er selbst hinter verschlossenen Thüren ab. Niemand, sein einziger Sohn Cornelius nicht ausgenommen, durfte sein Schreibgemach betreten. Nur ein alter Buchhalter, den Herr van Daalen als ein Erbstück mit von seinem Vater übernommen hatte und der schon seit vierzig Jahren in die Geschäfte des Hauses eingeweiht war, schien das Vertrauen seines Prinzipals zu besitzen. Der alte Herr Hoontschoten war aber fast immer abwesend, niemand wußte, wo? Oft ließ er sich in Jahresfrist und manchmal auch in noch größeren Zwischenräumen in Rotterdam nicht sehen. Erschien er dann endlich, so strahlte Herrn Jan’s Antlitz in unverkennbarer Freude und immer wurden, wenige Tage nach seiner Ankunft, große und gewichtige Geldsäcke in das van Daalensche Haus geschafft. An seinem Sohne Cornelius hatte der alte Herr bisher wenig Freude erlebt. Statt frühe die Feder zu gebrauchen, um im Rechnen und Copieren sich zu dem höheren Wirken im Handelstreiben vorzubereiten, hatte Cornelius das Schwerdt ergriffen und war, allen Abmahnungen des Vaters zum Trotz, unter König Wilhelm gegen die Franzosen zu Felde gezogen. Herr Jan zürnte ihm lange und wollte nichts von ihm wissen. Als er aber einige Jahre nach dem geschlossenen Frieden in das väterliche Haus trat, zu einem kräftigen, blühenden Manne geworden, bekleidet mit der Würde eines Hauptmannes, da erfreuete sich doch des Vaters Auge an ihm; als er aber gar nach einiger Zeit erklärte, daß er dem Kriegshandwerk gänzlich entsagen, um als ein guter Ehemann und Hausvater daheim zu leben, und daß die holdselige Jungfrau Clelia van Vlieten es sey, die er zum Gattengespons erwählet, da schloß ihn Herr Jan gerührt in die Vaterarme und meinte in seinem Innern, der Apfel falle doch nicht weit vom Stamme und die Speculation auf das liebliche Töchterlein des Dicksten sey in der That eines van Daalen würdig. Cornelius konnte versichern, daß Clelia ihn mit Blicken betrachte, die keinesweges gleichgültig zu nennen waren. Er verschwieg, daß er bei günstiger Gelegenheit schon das Geständniß seiner Liebe gegen sie gewagt habe, daß dieses nicht allein gütig aufgenommen, sondern sogar mit jungfräulicher Schüchternheit erwiedert worden sey. Die Aussicht, das ungeheuere Vermögen des Herrn Tobias mit dem seinigen zu vereinen, den Vater Clelias vielleicht zu einer Compagniehandlung zu bewegen, war für den alten van Daalen schon höchst lockend; die Hoffnung aber, daß nun Cornelius auch Neigung zu kaufmännischen Geschäften fassen und dereinst auf dem geheimnißvollen Wege, den er mit Glück gewandelt, weiter schreiten werde, erfreuete ihn fast eben so sehr. Er äußerte das auch seinem Sohne. Dieser aber versicherte ihn ganz trocken: daran denke er nicht, es sey ihm im Gegentheile nichts in einem so hohen Grade zuwider, als Schreiberei und Handelschaft und er trage nichts anders im Sinne, als mit seiner künftigen Ehefrau Clelia dermaleinst in Fülle und Wohlleben von den Zinsen der Capitale zu leben, die ja die beiden Väter in Ueberfluß für ihre Kinder zusammengebracht und gespart. Herr Jan sah ihn auf diese Rede mit den gläsernen Augen starr und schweigend wohl eine Viertelstunde lang an; dann wandte er sich mit einem schweren Seufzer von ihm ab und begab sich zu Herrn van Vlieten, um mit diesem die Freierei-Unterhandlungen zu eröffnen, die nun mit aller Bedächtlichkeit und Vorsicht, welche zwei so kundigen Geschäftsmännern zugetraut werden konnten, betrieben wurden.
Dieses war der Stand der zwischen den beiden Handelsherrn obwaltenden Angelegenheiten, als wir sie zum erstenmale stolz und im Bewußtseyn ihres Metallwerthes durch die treibende Menge im Haven von Rotterdam hinschreiten sahen.
»Ihr wißt meinen Entschluß, Myn Heer van Daalen,« sagte Herr Tobias in einem herben und strengen Tone, indem er bedeutungsvolle Blicke auf einige ihm zugehörende, in der Maas ankernde Schiffe warf und dann ebenso bedeutungsvoll auf einige andere zurücksah, die im Canale, zunächst seiner Wohnung, lagen. »Fünfmalhunderttausend Stück Dukaten ist ein artiges Sümmchen, aber siebenmalhunderttausend ist noch artiger. Wir sind beide dick, aber Ihr seyd nicht der dickste! Nur gleich und gleich gesellt sich gut und erst, wenn Euer Cornelius so schwer geworden, wie meine Clelia, so können die Glockenspiele der Binnen- und Buytenstad ein lustiges Stückchen zu ihrer Hochzeit aufspielen. Schade, daß wir nicht in Batavia sind! Da hat mich’s bei solcherlei Festen am Meisten ergötzt, die schwarzen Sklaven und Sklavinnen, Abends, wenn sie des Tages Last und Arbeit hinter sich hatten, einen lustigen Tanz aufführen zu lassen. Sanken sie dann wohl vor Müdigkeit oder Trägheit zu Boden, so war gleich des Aufsehers Peitsche bei der Hand, die sie wieder in die Höhe zum Tanzen trieb und der Hauptspaß war es nun, sie mit verzerrten Gesichtern, heulend und schreiend, springen und hüpfen zu sehen. Dergleichen Vergnügungen giebt es nicht in Europa, Myn Heer van Daalen!«
In diesem Augenblicke hemmte Tobias plötzlich seinen Schritt. Seine Blicke waren starr auf einen Punkt gerichtet. Es schien, als mache irgend ein Gegenstand ihn stutzig, als sey er über irgend eine sonderbare Begegnung betroffen und unwillig.
Zwei junge Leute in Studententracht waren aus einer landenden Barke ans Ufer gesprungen. Ihre ersten Blicke fielen auf die hagere und ausgetrocknete Gestalt des Herrn Tobias van Vlieten, der in seinem canelfarbigen Rocke und mit dem zusammengedörrten bräunlichen Antlitz, laut und lachend von ihnen der ungeheuerste Zimmetstengel genannt wurde, der jemals aus Ostindien herübergekommen sey. Ganz im Gegensatze zu ihnen stand ein ältlicher Mann, der zwischen beide getreten war, dessen Blicke mit einem Ausdrucke der Verzückung auf Herrn van Vlieten ruheten und der nun mit hohem Ernst in seinen Mienen, mit schnarrender Stimme und in der die Worte abwägenden Weise eines Pedanten rief:
»Ruhig, meine Söhne! Ruhig, ihr Kindlein der Musen! Habt Ihr je ein so herrliches Exemplar einer egyptischen Mumie gesehen, wie das hier im zimmetfarbenem Rocke und mit spanischem Rohre umherwandelnde? Schweigt von Eurem schnöden Zimmetstengel! Ein Sproße aus pharaonischem Geschlechte, ein königlicher Bewohner der Pyramiden zeigt sich Euerm erstaunten Blicke. Er wandelt hier am Ufer der Maas, er schnupft Tabak und trägt Dukaten auf dem Rocke! O wie köstlich, wenn wir ihn hätten im theatro anatomico zu Leyden, schön eingepackt im egyptischen Sarge, den wunderdeutsamen Ibis zu seinen Füßen, ihn selbst eingehüllet in balsamische Stoffe, hieroglyphisch übermalet – o Isis und Osiris! die Begeisterung reißt mich fort und verleitet mich, würdige Handelsherrn der Gegenwart für Gestalten einer heiligen Vorzeit zu halten! Verzeihet, Myn Heer,« wandte er sich nun zu dem immer finsterer blickenden Tobias, »wenn Euch diese junge Leute durch unziemlichen Scherz beleidigt! Meine Bewunderung wird Euch hoffentlich zu einigem Ersatz dienen und solltet ihr jemals nach Leyden kommen, so seyd höflich eingeladen, in dem Hause des Professor Eobanus Hazenbrook einzusprechen.«