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Briefe von Goethe an Lavater

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Johann Wolfgang von Goethe
Briefe von Goethe an Lavater / Aus den Jahren 1774 bis 1783

Vorwort

Die nachfolgenden Briefe von Goethe an Lavater wurden dem Herausgeber von Freunden in Zürich, welche nicht genannt seyn wollten, zur öffentlichen Mittheilung anvertraut. Ebendenselben verdankte er die chronologische Anordnung der Briefe, denen häufig das Datum, wenigstens die Jahrszahl fehlt. Nur ihrer umsichtigen und unverdrossenen Bemühung konnte es gelingen, durch Nachsuchen und Vergleichen mit Papieren, die außer ihnen niemanden zugänglich waren, diesem Uebelstand großen Theils abzuhelfen.

Wie die Briefe hier gedruckt vorliegen, so sind sie geschrieben. Selbst Orthographie und Interpunction sind fast unverändert beibehalten worden. Nur sehr wenige, auf reine Familien-Angelegenheiten sich beziehende Stellen, deren Mittheilung nicht das geringste Interesse für das größere Publikum haben konnte, mußten aus Rücksichten für Lebende zurück gehalten werden.

Uebrigens ist der Brief, mit welchem die Sammlung schließt, zwar der letzte der vorhandenen, aber keinesweges der letzte, den Lavater von Goethe empfangen hatte. Gleicherweise mögen den zwei ersten Briefen noch mehrere vorangegangen seyn. Aber auch diese haben sich bis jetzt nicht auffinden lassen.

Die Verlagshandlung wird für den beigefügten Anhang keiner Entschuldigung bedürfen. Ohne Zweifel gehört der erste Brief zu den ältesten handschriftlichen Denkmalen von Goethe. Später, während die Physiognomik gedruckt wurde, stand Goethe mit Reich fortwährend in Briefwechsel. Bloß zum Zeugniß dieser lebendigen Theilnahme an der Physiognomik sind aus der ansehnlichen Zahl einige Briefe hier abgedruckt worden.

Ueber alles Dieses und noch viel Anderes, worüber die Freunde Goethe’s und Lavaters nach Lesung dieses Büchleins Aufschluß verlangen möchten, gedachte der Herausgeber in seinem Vorwort zu berichten. Aber der Tod überraschte ihn während des Druckes der Briefe. Er starb in Zürich im Februar dieses Jahres, im 66sten Jahr seines Alters, schmerzlich beweint und vermißt von Allen, denen das Glück seines Umgangs zu Theil ward. Er war der Verfasser der in 3 Auflagen erschienenen „Eugenia’s Briefe“.

Die Herausgabe dieser Goethe’schen Briefe hat seine letzten Stunden beschäftigt, und gewiß werden die Freunde Goethe’s dieselbe als ein Verdienst um die deutsche Literatur betrachten.

Die Verlagshandlung.

1

An Lavatern.1

Bruder, was neckst du mich wegen meines Amusements. Ich wollt ich hätt eine höhere Idee von mir und meiner Bestimmung, so wollt ich weder meine Handlungen Amusements nennen, noch mich statt zu handeln amüsiren. Doch du hast deinen Zweck erreicht.

An Pfenninger

Danke dir lieber Bruder für deine Wärme um deines Bruders Seeligkeit. Glaube mir es wird die Zeit kommen da wir uns verstehen werden. Lieber Du redest mit mir als einem Unglaubigen, der begreifen will, der bewiesen haben will, der nicht erfahren hat. Und von all dem ist gerade das Gegentheil in meinem Herzen. Du wirst viel Erläuterung finden in dem Msbt. das ich Euch bald schicke. Bin ich nicht resignirter im Begreifen und Beweisen als ihr? Hab ich nicht eben das erfahren als ihr? – Ich bin vielleicht ein Tohr dass ich euch nicht den Gefallen thue mich mit euern Worten auszudrücken, und daß ich nicht einmahl durch eine reine Experimental Psychologie meines Innersten, euch darlege daß ich ein Mensch bin und daher nichts anders sentiren kann als andre Menschen, daß das alles was unter uns Widerspruch scheint nur Wortstreit ist der daraus entsteht weil ich die Sachen unter andern Combinationen sentire und drum ihre Relativität ausdrückend, sie anders benennen muß. Welches aller Controversien Quelle ewig war und bleiben wird.

Und daß du mich immer mit Zeugnissen packen willst! Wozu die? Brauch ich Zeugniß daß ich bin? Zeugniß daß ich fühle? – Nur so schäz, lieb, bet ich die Zeugnisse an, die mir darlegen, wie tausende oder einer vor mir eben das gefühlt haben, das mich kräftiget und stärket.

Und so ist das Wort der Menschen mir Wort Gottes es mögens Pfaffen oder Huren gesammelt und zum Canon gerollt oder als Fragmente hingestreut haben. Und mit inniger Seele fall ich dem Bruder um den Hals. Moses! Prophet! Evangelist! Apostel, Spinoza oder Machiavell. Darf aber auch zu iedem sagen, lieber Freund geht dirs doch wie mir! Im einzelnen sentirst du kräfftig und herrlich, das Ganze ging in euern Kopf so wenig als in meinen.

2

An Lavatern

Dein Schwager bringt dir nichts. Doch will ich verschaffen daß ein Mspt. dir zugeschickt werde. Denn bis zum Druck währts eine Weile. Du wirst grosen Teil nehmen an den Leiden des lieben Jungen den ich darstelle. Wir gingen neben einander, an die sechs Jahre ohne uns zu nähern. Und nun hab ich seiner Geschichte meine Empfindungen geliehen und so machts ein wunderbares Ganze.

Da schick ich dir ein Profil. Der Kerl (sagt man) war Steuermann, hat in der Sklaverey zu Tunis viel ausgestanden, und zieht nun in der Welt herum Mitleiden zu erregen. Ich hab ihn nach dem Leben gezeichnet. Das ist nur indeß flüchtige Copie davon, das Original drückt besser den Eigensinn im Leiden, und das niedergedrückte einer starken Menschheit aus. Du sollsts auch haben.

Die Stirn Höhe ist übertrieben. Oder vielmehr sas er zu Zeiten mehr als Profil, da wölbte es sich so stark. Adieu Bruder ich bin nicht laß, so lang ich auf der Erde bin erobre ich wenigstens gewiß meinen Schritt Lands täglich! Steiner hat gefunden daß mein Portrait das du hast nicht ich sey. Er ist ein gar lieber Mann.

Am 26. Apr. 1774.

3

Zimmermann ist fort, und ich bin bis zehn Uhr im Bette liegen blieben um einen Catharr auszubrüten, mehr aber um die Empfindung häuslicher Innigkeit wieder in mir zu beleben, die das gottlose Geschwärme der Tage her ganz zerflittert hatte. Vater und Mutter sind vors Bett gekommen, es ward vertraulich diskurirt, ich hab meinen Thee getrunken und so ists besser. Ich hab wieder ein Wohngefühl in meinen vier Wänden, wie lange es währt.

Z. und ich waren trefflich zusammen – du stellst dirs vor. Und hätte dir vieles zu sagen. Sein Betragen gegen dich bleibt besser unentschuldigt, es ist besser daß einem so was unerklärlich bleibt – ich habe ihn sehr darüber gepeinigt, ob er gleich mit einer Captat. benev. die Geschichte anfieng. Seine Tochter ist so in sich, nicht verriegelt, nur zurückgetreten ist sie, und hat die Thüre leis angelehnt. Es würde sie ein leise lispelnder Liebhaber eher als ein pochender Vater öffnen. Es that ihm sehr weh dich so geängstet zu haben, und du Guter es wird dir nicht das Leztemal so gegangen seyn.

C’est le Sort d’un Amour extreme
De faire toujours des Ingrats.

Mir wird ie länger ie mehr das Treiben der Welt und der Herzen unerklärlich. Einzelne Züge die sich überall gleichen, und doch nie daran zu denken daß der große menschliche Kopf ein Ganzes der Menschen Wirthschafft übersehen werde.

Hab gestern ein Bisgen über die vier Wahnsinnigen und Brutus geklimpert. Bruder wie schwer ists das todte Kupfer zu beleben, wo der Charackter durch mißverstandene Striche nur durchschimmert, und man immer schwankt warum das was bedeutet und doch nichts bedeutet. Beym Leben wie anders!

Es giebt der Zerstreuungen die Menge. Der Herzog von Weimar ist hier, wird nun bald Louisen davon tragen. Könntest mir nicht einen Storchschnabel senden. Grüs Bäben, sie soll mir doch etwas über sich und dich schreiben!

Ich bin seit 14. Tagen ganz im Schauen der grosen Welt!

Juny 1775.

G.

4

Lieber Bruder, Louisens Portrait das ich für dich in Händen habe, sollst ehestens erhalten. Ich hab ihr geschrieben. Das Gedicht an sie, ist das Beste was du je gemacht hast.

Gott segne deinen Buben, dein Weib und alles. Mein Vater macht ihr eine Galanterie in die Wochen, nehmts freundlich auf.

Schick mir doch auch ehestens was für die Physiogn. Ich sizze in Ofenbach, wo freilich Lilli ist. Ich hab sie von dir gegrüst. Ich schicke dir ehestens ihre Silhouette weiblich. Mach ihr etwas in Versen das sie im Guten stärcke und erhalte. Du kannst Guts thun, und du willst.

Den 14. August.

Gestern waren wir ausgeritten. Lilli, Dorwille und ich. Du hättest den Engel im Reitkleide zu Pferde sehen sollen! In Oberrad wartete die übrige Gesellschaft auf uns, und ein Gewitter trieb die alte Fürstinn von Waldeck mit ihren Töchtern der Herzogin von Curland, und der Fürstinn von U. in unser Haus und Saal. Da sie mich erkannten, wurde gleich viel nach dir gefragt, und die alte Fürstinn hat mit solcher Wahrheit und Wärme von dir geredt daß mirs wohl wurde. Sie sagte, wenn ihm heute nicht die Ohren klingeln, so halte ich nicht viel auf seine Ahnungskrafft, an uns liegt die Schuld nicht. Sie läßt dich herzlich grüßen.

Lilli grüst dich auch! —

Und mir wird Gott gnädig seyn. B., ich bin eine Zeit her wieder fromm, habe meine Lust an dem Herrn, und sing ihm Psalmen von denen du ehestens eine Schwingung erhalten sollst.

Ade.

Ich bin sehr aufgespannt, fast zu sagen doch wollt ich du wärest mit mir, denn da ist wohl seyn in meiner Nachbaarschafft.

über

Schreibe doch du auf was du wolltest daß ich für dich sähe, wenn ich nach Italien gieng.

im July 1775.

G.

5

1775

Freitag den 21. Dez. Nach einem herrlichen Wintertag, den ich meist in freyer Luft Morgens mit dem Herzog, Nachmittag mit Wielanden zugebracht habe, ziemlich müd und ausgelüfftet von der Eisfahrt, siz ich bey W. und will sehen was ich an dich zusammen stopple über die mir geschickten Cap. der Phis: – kurz genug und wills Gott bündig und treffend, das ist alles. Denn Ausspinnens ist jezt nicht Zeit, der ich in verbreiteter Wirthschafft, und Zerstreuung von Morgens zu Nacht umgetrieben werde. Wieland hat mir seine Gefühle gegeben, und so wird alles gut werden. Ich geh auch wohl nach Leipzig, hast du nun da was so schreibe bey Zeiten und laß michs ausrichten.

Weiter braucht der Herzog einen Generalsuperintendenten. Er fragte mich drum, ich nannt ihm Herdern. Der wie du vielleicht weißt noch nicht ganz gewiß nach Göttingen geht. Der Herzog trug mir auf dich zu fragen: wen du vorschlügst? sag mir also ein Wort hierüber, und wen du sonst in Ermangelung Herders vorschlagen könntest.

Ich bin hier wie unter den Meinigen, und der Herzog wird mir täglich werther, und wir einander täglich verbundener.

Grüs mir alles! Von Paßavant hab ich liebe Briefe. Auch von Zimmermann, der mir deinen guten Muth meldet.

Morgen geh ich über Jena nach Waldeck, wilde Gegenden und einfache Menschen aufzusuchen. Addio. Mir geht alles nach Herzenswunsch, auch Dir geh es so.

G.

Bäben kann sich auch wieder einmal erheben mir zu schreiben. Grüs dein Weib. Sey mir nicht gar zu Lakonisch.

6

Wie du missest soll dir wieder gemessen werden, sey wegen der Phis. ausser Sorgen. Ich bin noch in Türingen, immer höchstens anderthalb Tagreisen von Leipzig. Will schon machen und leiten. Wieland erkennt dich. Ich bin dein. Thomasele mir nicht. Ich lerne täglich mehr steuern auf der Woge der Menschheit. Bin tief in der See.

Erfurt d. letzten des Jahrs 75.

G.

7

Lieber Br. sey nur ruhig um mich, und ermatte dich nicht Müdling ohne Noth, ich hab all deine Phisiognomik. Aber der 2 Theil wird zuviel stärker, wie ich’s iezt überlege, und will drum mit Reichen reden daß das auch gut werde.2 Verlaß dich – Ich bin nun ganz eingeschifft auf der Woge der Welt – voll entschlossen: zu entdecken, gewinnen, streiten, scheitern, oder mich mit aller Ladung in die Luft zu sprengen. Aber laß mich von dir hören! es ist nicht genug daß du mich liebst. Ob das gleich alles ist, auch durch Amanuenses ist schon gut.

d. 6. März 76. Weimar.

G.

8

Weil ihr lieb wart und habt mir gleich geschrieben, so auch von mir hier eine Ejakulation die ihr freundlich mögt aufnehmen.

Lieber Bruder daß du nicht willst Ständigkeit kriegen, nicht kannst kriegen, ängstigt mich manchmal wenn ich peccata mundi im Stillen trage. Ich bin nun seit einem Jahr in ganz decidirten moralisch politischen Augenblickes-Verhältnissen und mein Herz das mir so treu und du – Nun es soll so seyn – über C… und L… sey ruhig, wo die Götter nicht ihr Possenspiel mit den Menschen treiben, sollen sie doch noch eins der glücklichsten Paare werden wie sie eines der besten sind, nichts menschliches steht dazwischen, nur des unbegreifflichen Schicksaals verehrliche Gerichte. Wenn ich dir erscheinen und dir erzählen könnte was unschreibbar ist, du würdest auf dein Angesicht fallen und anbeten den der da ist, da war und seyn wird. Aber glaub an mich, der ich an den Ewigen glaube. Grüß alles und Kaysern. Lenz ist unter uns wie ein krankes Kind, und Klinger wie ein Splitter im Fleisch, er schwürt, und wird sich herausschwüren leider.

d. 16. Sept. 76.

G.

Schick mir zeitig etwas zum dritten Theil. Gern sollst du haben was ich geben kann, in der unendlich beweglichen Welt in der ich lebe tausend Beobachtungen! und in einem guten Augenblick schöpf ich dir die Butter ab! – &c. – Valleney auch nicht! – Genug was ich kann! —

Allwills Briefe sind von Frch. Jakobi – nicht von mir. —

Taglang Nachtlang stand mein Schiff befrachtet.
Günstger Winde harrend sas mit treuen Freunden
Mir Geduld und guten Muth erzechend
Ich im Hafen.

Und sie wurden mit mir ungeduldig:
Gerne gönnen wir die schnellste Reise
Gern die hohe Fahrt dir. Güter-Fülle
wartet drüben in den Welten deiner,
Wird rükkehrendem in unsern Armen
Lieb und Preis dir.

Und am frühen Morgen wards Getümmel
und dem Schlaf entiauchzt uns der Matrose;
Alles wimmelt alles lebet webet,
Mit dem ersten Seegenshauch zu schiffen.
Und die Segel blühen in dem Hauche.
Und die Sonne lokt mit Feuerliebe.
Ziehn die Segel, ziehn die hohen Wolken.
Jauchzen an dem Ufer alle Freunde
Hofnungslieder nach im Freudetaumel,
Reisefreude wähnend wie des Einschiffmorgens
Wie der ersten hohen Sternennächte.

Aber Gottgesandte Wechselwinde treiben
Seitwärts ihn der vorgestekten Fahrt ab,
Und er scheint sich ihnen hinzugeben,
Strebet leise sie zu überlisten
Treu dem Zwek auch auf dem schiefen Weege.
Aber aus der dumpfen grauen Ferne
Kündet leisewandelnd sich der Sturm an,
Drükt die Vögel nieder aufs Gewäßer
Drükt der Menschen schwellend Herze nieder.
Und er kommt. Vor seinem starren Wüthen
Streicht der Schiffer weis die Segel nieder.
Mit dem angsterfüllten Balle spielen
Wind und Wellen.

Und an ienem Ufer drüben stehen
Freund und Lieben, beben auf dem Festen:
Ach warum ist er nicht hier geblieben!
Ach der Sturm! Verschlagen weg vom Glüke!
Soll der Gute so zu Grunde gehen!
Ach er sollte! Ach er könnte! Götter!
Doch er stehet mannlich an dem Steuer.
Mit dem Schiffe spielen Wind und Wellen;
Wind und Wellen nicht mit seinem Herzen.
Herrschend blikt er in die grimme Tiefe
Und vertrauet landend oder scheiternd
Seinen Göttern.

Den 11. Sept. 76.

G.

9

Deinen Abraham erwart ich freundlich. Weiß zwar kein Wort wie ich ihn hätte dramatisiren dörfen, doch will ich deiner Poesey gern förderlich und dienstlich seyn.

Ueber die Platten hab ich nur so was hingeworfen, damit der Band fertig werde. Wenn du mich nur anbläsest, denn ich sage dir, was du von mir begehrest, dazu sieh bald.

Gestern tief in dem Getreibe der Meßgeleits-Zeremonien, fiel mir Ariostens Wort vom Pöbel ein: Werth des Todes vor der Geburt.

Hättest du mir Neuton geschickt – der wäre gesät und geerndtet worden. Du mußt mich kennen lernen wenn du mich brauchen willst, du bist zwar dadrinnen sonst ein feiner Schelm, aber ich will dichs noch weiter lehren.

Pestaluz hat mir seine Ankunft melden lassen.

Deinen Abraham hab ich nun. Deinet will ihn drucken, und ich will thun dran wie mirs um’s Herz ist, bin ich doch nicht weder in Abrahams Fall noch Isaacks – das Stück wird gute weite Wirkung thun. Will auch einen Würzruch drein dämpfen hier und da meines Fäßleins, denk ich.

Pestaluz war sehr gut. Ich sagt ihm gleich ich wünschte du kenntest deine Landsleute besser und sie dich besser – Er redete ganz für dich – ohne aber. Gott geb aus einem feinen Herzen.

1776.

G.

10

Ich habe zwey Pakete von dir erhalten, dazwischen eine Lücke war; sieh nach. In meinem iezigen Leben weichen alle entfernten Freunde in Nebel, es mag so lang währen als es will, so hab ich doch ein Musterstückgen des bunten Treibens der Welt recht herzlich mitgenossen. Verdruß, Hoffnung, Liebe, Arbeit, Noth, Abentheuer, Langeweile, Haß, Albernheiten, Thorheit, Freude, Erwartetes und Unversehnes, Flaches und Tiefes, wie die Würffel fallen, mit Festen, Tänzen, Schellen, Seide und Flitter ausstaffirt; es ist eine treffliche Wirthschaft. Und bey dem allem l. Br., Gott sey Dank, in mir und in meinen wahren Endzwecken ganz glücklich. Ich habe keine Wünsche als die ich wirklich mit schönem Wanderschritt mir entgegen kommen sehe.

Es ist dein Schicksal daß ich an dir diese Freude nicht erleben soll. Leb wohl, grüs alles.

Vor Weimar im Garten

d. 8. Jan. 77.

G.

Lied
des Phisiognomischen Zeichners

O daß die innre Schöpfungskrafft
Durch meinen Sinn erschölle!
Daß eine Bildung voller Safft
Aus meinen Fingern quölle!
Ich zittre nur, ich stottre nur,
Ich kann es doch nicht lassen;
Ich fühl, ich kenne dich, Natur,
Und so muß ich dich fassen.

Wenn ich bedenk wie manches Jahr
Sich schon mein Sinn erschliesset,
Wie er, wo dürre Haide war,
Jezt Freudenquell geniesset;
Da ahnd ich ganz Natur nach dir,
Dich frey und lieb zu fühlen,
Ein lustger Springbrunn wirst du mir
Aus tausend Röhren spielen;
Wirst alle deine Kräfte mir
In meinem Sinn erheitern,
Und dieses enge Daseyn hier
Zur Ewigkeit erweitern.

G.

11

Da hast du von dem herrlichen Lindau einige Blätter. Zimmerm. schreibt mir er sey todt, ich glaube kein Wort davon. Deine Phis. geht immer richtig durch meine Hände, ich kann nichts dafür thun als hie und da ausstreichen. Bey Raphael hab ich einen grosen Schnitt gemacht und mir selbst von einem Tag zum andern versprochen den Riß wieder auszufüllen, es ging aber nicht.

Ich lebe ganz glücklich in anhaltendem Reiben und Treiben des Lebens, und bin stiller in mir, als ie, schreibe niemanden, höre von niemanden, mich kümmert außer meinem Kreis nun gar nichts.

Kaufm. ist wieder da, ich hab ihn nur einen Blick gesehn, er sitzt bey Lyndern auf dem Gute.

Linnaeus Petern erwart ich mit dem Frühjahr, ich will sehn obs glückt was ich mit ihm vorhabe. Herder ist wohl und vergnügt.

Leb wohl, grüs dein Weibele, Buben und Kaysern.

W. d. 19. Febr. 77.

G.

Nachts in meinem Garten, in einem warmen Stübgen, da mir draußen über Schnee und hellen Mondenschein, Waldhörner übers Thal herüber blasen.

12

Da schicke ich dir Briefe von Peter Baumgartner die du weiter spediren sollst. Mich machts lachen, daß er zum Anfang einen Spiesruthen lauffen, und einen ausprügeln sieht, das er, wie er sagt, nicht wieder sehen mag. Der Junge ist nun mein, und wenn ichs recht kann, so soll er, wenn ich die Augen zuthue, oder ihn verlasse, oder er mich, von niemandem abhängen, weil er von allem abzuhängen fühlen muß. Adio man sagt immer was Dummes wenn man was allgemeines, oder was künftig zu thuendes sagt.

Schreib mir auch ein Wort von Lindaus Vermächtniß für den Buben, ich denke wir werden kein Kraut damit fett machen.

Schreib mir auch ein Wort von dir. Sag Kayser daß ich ihm das Verlangte schicken werde. Adio.

Weimar d. 14. August

1777.

13

Der Jacobis Portrait sind angelangt, ich schick sie dir aber nicht, sie sind abscheulich. Friz grüßt dich sehnlich, und wird dir von hier aus schreiben.

Der Herzog hat mir sechs Schädel kommen lassen, habe herrliche Bemerkungen gemacht, die Ew. Hochwürden zu Diensten stehn, wenn dieselben sie nicht ohne mich fanden.

Cassir doch, ich bitte dich, die Familientafel von uns, sie ist doch scheuslich. Du prostituirst dich und uns. Meinen Vater laß ausschneiden, und brauch ihn als Vignette, der ist gut. Ich bitte dich inständig drum. Mit meinem Kopf mach auch was du wit, nur meine Mutter soll nicht so dastehn. Hast du noch einige Abdrücke, schick mir sie mit denen um die ich auf beyliegendem Zettel bitte – es ist nur der Vater herauszuschneiden.

Hier Linien von Fettmilchs Kopf. Das Kurz- und starrsinnige drückt sich auf dem schlechten Kupfer, wovon es genommen ist, noch stärker, hat auch zugleich etwas Thierisch-niedriges, das der Umriß nicht hat. Was hältst du von der Idee? wär in Silhouetten herrlich auszuführen. Du kennst Hogarths Schönheitslinie von der Verzerrung bis zum Leblosen. Der reine Punkt der Schönheitslinie ist die Linie der Liebe, Stärke und Schwäche stehn ihr zu beyden Seiten. Liebe ist der Punkt wo sie sich vereinigen. Gieb mir Beyträge dazu, und wir wollen ein herziges Kapitelgen machen, vielleicht kein ganz unreiner Faden aus dem grosen Gewebe ausgezogen.

Ich schicke dir hier eine Bouteille Himbeerensafft. Grüs mir Herr Schmoll.

Der Friede Gottes, der sich täglich mehr an mir offenbaret, walte auch über dich und die deinigen, und daß dein Glaube unüberwindlich werde. Sieh hier wieder daß er mich überwindet. Ich hab deinen Brief, und sende dir sogleich was über Homer. Adieu! Ich will dir einige Sachen zeichnen und schicken.

1778.

14

An Herrn Caspar Lavater nach Zürich
Thun d. 8. Oktbr. 79.

So nah bin ich bey dir l. Br. wie dir der Ruf schon wird gemeldet haben.

Wir sind im Begriff auf die Gletscher so weit es die Jahrszeit erlaubt zu gehen. Dann solls noch durch einen Umweg zu dir.

Schreibe mir doch mit umlaufender Post nach Bern in den Falken ein Wort ob etwa in Bern Lausanne Genf Luzern Zug &c. einige Menschen sind, die du kennst und die zu kennen mir auch Freude machte, ich will sie besuchen und von dir grüsen und dir ihre Grüse bringen.

Ja lieber Bruder dich wieder zu sehen, ist einer meiner beständigsten Wünsche diese vier Jahre her und wird nun auch bald erfüllt.

Ich habe dir viel zu sagen, und viel von dir zu hören, wir wollen wechselsweis Rechnung von unserm Haushalten ablegen, einander seegnen, und für die Zukunft stärken, wieder ganz nah zusammenrudern und uns freuen daß wir noch in einer Luft athemholen. Von dem was ich mitbringe unterhalt ich dich nicht im Voraus.

Mein Gott dem ich immer treu geblieben bin hat mich reichlich geseegnet im Geheimen, denn mein Schicksal ist den Menschen ganz verborgen, sie können nichts davon sehen noch hören. Was sich davon offenbaren läßt, freu ich mich in dein Herz zu legen. Adieu Bruder. Bisher sind wir glücklich gereist, bete auch daß uns die himmlischen Wolken günstig bleiben, und wir an allen Gefahren vorüber gehn.

G.

Sonntag d. 10ten denk ich sollst du diesen Brief haben und Dienstag den 12 könnte nach der Postrechnung ein Brief von dir wieder in Bern seyn. Auf alle Fälle schreibe so bald du kannst.

15

Lieber Bruder, deine Leute hier hab ich meist gesehen, Kirchbergern noch heut Abend spät anderthalb Stunden auf seinem Landhaus gesprochen. Es ist ein Mann mit dem sich gut reden läßt und ich habe die Zapfen meiner Gefäse, wie er angeklopft hat, gar freundlich ausgezogen, und mir auch dagegen von dem seinigen reichen lassen. Auf alles was er gefragt hat, hab ich ihm in meiner Art geantwortet, und durch Gleichnisse und Anschlagen wurden wir bald bekannt. Auch hab ich ihm hie und da mehr gesagt, als er gefragt hat, denn es hängt alles gar hübsch bey ihm zusammen und er hat für sein Alter und daß er viel für sich durchdacht hat, eine schöne Gelenksamkeit der Gedanken.

Nun wirds weiter gehn. Verschiedene Packete sollen an dich geschickt werden, hebe mir sie auf. Wir gehen auf Lausanne und Genv. Bey Neuburg sind wir schon gewesen und thut mir leid die G*** nicht zu sehen, ich schick ihr deinen Brief. Wenn du mir was noch zu sagen hast, so schicks an Toblern den ich gewiß aufsuche. Von Genf hörst du weiter von mir.

Was der treue Cameralische Okulist mit dem Br. Herzog will, versteh ich außer dem Zusammenhang nicht. Wenn’s so ist wie ich vermuthe, mag er’s immer noch ein Paar Jahrhunderte aufschieben, und es soll auch dann wills Gott nicht passen. Es ist nur seit man den Kazzen weisgemacht hat, die Löwen gehören in ihr Geschlecht, daß sich ieder ehrliche Hauskater zutraut er könne und dürfe Löwen und Pardeln die Tazze reichen und sich brüderlich mit ihnen herumsielen die doch ein vor allemal von Gott zu einer andern Art Thiere gebildet sind. Adieu. Eh wir Zürich nahen hörst du mehr von mir.

Bern d. 17. Okt. 79.

Grüs dein Weib und die kleine, es soll mich wundern ob und wie wir uns verändert finden.

16

Genf d. 28ten Okt. (1779)

L. Br. Deinen Brief hat mir Tobler gegeben, der mich nur in Gegenwart Diodatis gesprochen hat, wo’s ihm nicht so von der Brust will, und ich bin auch nicht so in Gesellschaft mich aufzuknöpfen. Wir ziehen langsam, bis jetzt noch mit schönem Glück und Vorteil, sind vorgestern in der Vallée du lac de Joux und auf der Dole gewesen beym schönsten Wetter und Umständen. Heut warten wir das trübe in Genv ab.

Noch weis ich nicht wenn wir kommen, du sollst noch mehr von mir hören. Ich halte sonst viel vom überraschen, diesmal ist das Herumziehen eh wir uns sehn auch gut. Nicht allein vergnüglich sondern geseegnet uns beyden soll unsre Zusammenkunft seyn. Für ein Paar Leute die Gott auf so unterschiedne Art dienen sind wir vielleicht die einzigen, und denke wir wollen mehr zusammen überlegen und ausmachen, als ein ganz Concilium mit seinen Pfaffen, Huren und Mauleseln. Eins werden wir aber doch wohl thun daß wir einander unsere Partikular-Religionen ungehudelt lassen. Du bist gut darinne aber ich bin manchmal hart und unhold, da bitt ich dich im Voraus um Geduld. Denn z. E. da hat mir Tobler deine Offenb. Joh. gegeben, an der ist mir nun nichts noch als deine Handschrift, darüber hab ich sie auch zu lesen angefangen.3 Es hilft aber nicht, ich kann das göttliche nirgends und das poetische nur hie und da finden, das Ganze ist mir fatal, mir ists als röch ich überall einen Menschen durch der gar keinen Geruch von dem gehabt hat der da ist A und O. Siehst du l. Br. wenn nun deine Vorerinnerung grade das Gegentheil besagt und unterm 24 September 1779!! da werden wir wohl thun, wenn wir irgend ein sittsam Wort zusammen sprechen, ich bin ein sehr irdischer Mensch, mir ist das Gleichniß vom ungerechten Haushalter, vom verlohrnen Sohn, vom Säemann, von der Perle, vom Groschen &c. &c. göttlicher (:wenn ie was göttlich’s da seyn soll:) als die sieben Botschafter, Leuchter, Hörner, Siegel, Sterne und Wehe. Ich denke auch aus der Wahrheit zu seyn, aber aus der Wahrheit der fünf Sinne und Gott habe Geduld mit mir wie bisher. Gegen deine Messiade hab ich nichts, sie liest sich gut, wenn man einmal das Buch mag, und was in der Apokalypse enthalten ist, drückt sich durch deinen Mund rein und gut in die Seele, wie mich dünkt. Das willst du da, wozu denn aber die ewigen Trümpfe, mit denen man nicht sticht und kein Spiel gewinnt, weil sie kein Mensch gelten läßt. Du siehst, Bruder, ich bin immer der alte, dir wieder von eben der Seite wie vormals zur Last. Auch bin ich in Versuchung gewesen das Blatt wieder zu zerreissen. Doch da wir uns doch sehn werden so mag es gehn.

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notes

1

Diese Zeilen fallen, gleichwie der nächstfolgende, an Lavaters Seelenfreund, den Diakon Pfenninger gerichtete Brief, obschon ohne Datum, in die Zeit vor Lavaters Abreise nach Frankfurt. Diese fand Statt am 12. Juni 1774. Man sehe Goethes Werke 26r. Bd. S. 266, von den Worten an: „Unser erstes Begegnen war herzlich, u. s. w.“

A. d. H.

2

Siehe den Anhang.

3

In diesem Briefe spricht Goethe – was zu Verhüthung von Mißverständnissen nicht unbemerkt gelassen werden darf – von der homiletischen Bearbeitung der Offenbarung Jesu an Johannes, welche Lavater bald nach seinem Antritte des Diakonates zu St. Peter in Zürich (1778) für seine wöchentlichen Abendpredigten zu erklären anfing. Um eben diese Zeit aber bearbeitete L. in der Vollkraft seines Geistes und folgend dem Triebe seiner rastlosen, man möchte beynahe sagen, übermenschlichen Thätigkeit dasselbe Buch auch poetisch in einem Gedichte, welches im Jahr 1780, unter dem Titel: Jesus Messias oder die Zukunft des Herrn, in vier und zwanzig Gesängen, in Zürich ans Licht trat. Siehe Lavaters Lebensbeschr. von seinem Tochtermann G. Geßner, Bd. II. S. 222. u. ff. Auf dieses poetische Werk beziehn sich die, mit den vorliegenden gar sehr contrastirenden, Aeußerungen Goethes im 17, 20. u. 21ten Briefe.

A. d. H.