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Geschichte von England seit der Thronbesteigung Jakob's des Zweiten. Elfter Band: enthaltend Kapitel 21 und 22.

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Thomas Babington Macaulay
Geschichte von England seit der Thronbesteigung Jakob's des Zweiten. / Elfter Band: enthaltend Kapitel 21 und 22

Einundzwanzigstes Kapitel.
Wilhelm III

Eindruck von Mariens Tode auf dem Continent

Auf dem Continent machte die Nachricht von Mariens Tode einen sehr verschiedenen Eindruck. Die Hugenotten beweinten in allen Gegenden Europa’s, wohin sie verschlagen waren, die Auserwählte, die ihren königlichen Aufwand beschränkt hatte, um dem verfolgten Volke Gottes Brot und Obdach zu geben.1 In den Vereinigten Provinzen, wo sie genau gekannt und immer populär gewesen war, wurde ihr Tod aufrichtig bedauert. Matthias Prior, dem seine Talente und Kenntnisse die Gönnerschaft des freigebigen Dorset verschafft hatten und der jetzt der Gesandtschaft im Haag attachirt war, schrieb, daß die kälteste und für Gefühlsaffecte unempfänglichste aller Nationen berührt sei. Der Marmor selbst, sagte er, weine.2 Die Klagen von Cambridge und Oxford fanden in Leyden und Utrecht Wiederhall. Die Generalstaaten legten Trauer an. Auf allen Kirchthürmen Hollands ertönte jeden Tag Trauergeläute.3 Inzwischen verbot Jakob in Saint-Germains jede Trauerfeier aufs Strengste, und bestimmte Ludwig, ein gleiches Verbot auch in Versailles zu erlassen. Einige der vornehmsten Edelleute Frankreich’s, unter andern die Herzöge von Bouillon und von Duras, waren mit dem Hause Nassau verwandt und hatten jedesmal, wenn der Tod dieses Haus heimsuchte, die schicklichen Trauerceremonien genau beobachtet. Diesmal wurde ihnen untersagt, sich schwarz zu kleiden, und sie fügten sich; aber die Macht des großen Königs ging nicht so weit, daß er seine hochgebildeten und geistreichen Höflinge hätte verhindern können einander zuzuflüstern: es liege doch etwas Erbärmliches in dieser Rache, die der Lebende an dem Todten, ein Vater an seinem Kinde nehme.4

Die Hoffnungen Jakob’s und seiner Exilgefährten waren jetzt größer als sie seit der Schlacht von La Hogue je gewesen. Die Staatsmänner, sowohl bei uns, als auch auf dem Continent, waren in der That allgemein der Ansicht, daß es Wilhelm nicht möglich sein werde, sich noch lange auf dem Throne zu halten. Ohne den Beistand seiner Gemahlin, sagte man, würde er sich nicht einmal so lange haben halten können. Ihre Leutseligkeit habe Viele gewonnen, die sein kaltes Benehmen und seine kurzen Antworten abgestoßen hätten. Ihr englischer Accent, ihre englischen Gesinnungen und Neigungen hätten Viele bezaubert, denen sein holländischer Accent und seine holländischen Gewohnheiten zuwider gewesen seien. Obgleich sie der Hochkirchenpartei nicht angehört, habe sie doch dieses Ritual geliebt und sich gern und ehrerbietig einigen Ceremonien anbequemt, die er zwar nicht als sündhaft, doch als kindisch angesehen und an denen Theil zu nehmen er schwer habe über sich gewinnen können. So lange der Krieg daure, müsse er nothwendig fast die Hälfte des Jahres außerhalb England’s zubringen. Bisher habe sie in seiner Abwesenheit ihn vertreten, und gut vertreten. Wer solle ihn jetzt vertreten? In welchen Stellvertreter könne er gleiches Vertrauen setzen? Welchem Stellvertreter werde die Nation gleiche Achtung zollen? Alle Staatsmänner Europa’s stimmten daher in der Ansicht überein, daß seine zum mindesten schwierige und gefährliche Lage durch den Tod der Königin noch schwieriger und gefährlicher geworden sei. Aber alle Staatsmänner Europa’s täuschten sich, und merkwürdigerweise war seine Regierung nach dem Ableben Mariens entschieden glücklicher und ruhiger als zu ihren Lebzeiten.

Luxemburg’s Tod

Wenige Stunden nachdem er das zärtlichste und geliebteste aller ihm befreundeten Wesen verloren hatte, wurde er von dem gefürchtetsten aller seiner Feinde befreit. Der Tod hatte in Paris so gut wie in London ein Opfer gefordert. Während Tenison an Mariens Sterbelager betete, reichte Bourdaloue dem Marschall von Luxemburg die letzte Oelung. Der große französische General war nie ein Günstling des französischen Hofes gewesen; als man aber erfuhr, daß sein schwächlicher, durch Kriegsstrapatzen und sinnliche Genüsse erschöpfter Körper einer gefährlichen Krankheit erliege, wurde der Werth seiner Dienste zum ersten Male vollständig gewürdigt; die königlichen Leibärzte wurden zu ihm gesandt, um Heilmittel zu verordnen, die Schwestern von Saint-Cyr erhielten Befehl, für ihn zu beten, aber Heilmittel und Gebete waren vergebens. „Wie wird sich der Prinz von Oranien freuen,” sagte Ludwig, „wenn er Kenntniß von unsrem Verluste erhält!” Er irrte sich. Die Nachricht kam Wilhelm in einem Augenblicke zu, wo er an keinen andren Verlust zu denken vermochte, als der ihn selbst betroffen hatte.5

Wilhelm’s Schmerz

Während des ersten Monats nach Mariens Tode war der König zu keiner Anstrengung fähig. Selbst auf die Adressen der beiden Parlamentshäuser antwortete er nur mit einigen unartikulirten Lauten. Die Antworten, welche in die Protokolle aufgenommen sind, waren nicht mündlich von ihm gesprochen, sondern schriftlich eingereicht. Die unaufschiebbaren Geschäfte wurden durch die Vermittelung Portland’s erledigt, der selbst vom Kummer gebeugt war. Einige Wochen lang ruhte die wichtige und vertrauliche Correspondenz zwischen dem Könige und Heinsius. Endlich zwang sich Wilhelm, diese Correspondenz wieder aufzunehmen; aber sein erster Brief war der Brief eines Mannes, dessen Herz gebrochen war. Selbst sein kriegerisches Feuer war durch den Schmerz gedämpft worden. „Ich sage Ihnen im Vertrauen,” schrieb er, „daß ich mich für das Militärcommando nicht mehr tauglich fühle. Ich will indessen versuchen meine Pflicht zu thun und hoffe, daß Gott mir Kraft verleihen wird.” So verzagt sah er dem glänzendsten und glücklichsten seiner vielen Feldzüge entgegen.6

Parlamentsverhandlungen; Emancipation der Presse

Die parlamentarische Thätigkeit wurde nicht unterbrochen. Während die Abtei wegen des Leichenbegängnisses der Königin schwarz ausgeschlagen war, kamen die Gemeinen zu einem Beschlusse, der damals wenig Aufmerksamkeit und gar keine Aufregung hervorrief, den voluminöse Annalisten unerwähnt gelassen haben und dessen Geschichte man nur unvollständig aus den Parlamentsarchiven ersehen kann, der aber für die Freiheit und Civilisation mehr gethan hat als die Große Charte oder die Rechtsbill. Kurz nach Beginn der Session war ein gewählter Ausschuß beauftragt worden zu ermitteln, welche temporären Gesetze dem Erlöschen nahe seien, und um zu erwägen, welche von diesen Gesetzen fortbestehen zu lassen zweckmäßig sein würde. Der Bericht wurde erstattet, und alle in diesem Berichte enthaltenen Vorschläge wurden, bis auf einen, angenommen. Unter den Gesetzen, deren Erneuerung der Ausschuß dem Hause anempfahl, befand sich auch das, welches die Presse einer Censur unterwarf. Es wurde die Frage gestellt, „ob das Haus mit dem Comité in dem Beschlusse übereinstimme, daß die Acte unter dem Titel: Acte zur Verhütung von Mißbräuchen beim Drucken aufrührerischer, hochverrätherischer und unerlaubter Pamphlets und zur Regulirung des Buchdrucks und der Buchdruckerpressen, fortbestehen solle.” Der Sprecher erklärte, daß die Neins überwögen, und die Jas hielten es nicht für rathsam, ein Scrutinium vornehmen zu lassen.

Eine Bill zu Verlängerung aller übrigen temporären Gesetze, die man nach der Ansicht des Ausschusses zweckmäßigerweise nicht erlöschen lassen könne, wurde eingebracht, angenommen und den Lords zugesandt. Diese Bill kam sehr bald mit einem wichtigen Amendement versehen zurück. Die Lords hatten in der Liste der zu verlängernden Acten diejenige mit aufgenommen, welche die Presse der Aufsicht von Censoren unterstellte. Die Gemeinen beschlossen, dem Amendement nicht beizutreten, verlangten eine Conferenz und ernannten einen Ausschuß von Wortführern. Der leitende Wortführer war Eduard Clarke, ein entschiedener Whig, welcher Taunton vertrat, seit fünfzig unruhigen Jahren das Bollwerk der bürgerlichen und religiösen Freiheit.

Clarke überreichte den Lords im gemalten Zimmer ein Schriftstück, welches die Gründe enthielt, die das Unterhaus bestimmt hatten, die Censuracte nicht zu erneuern. Dieser Aufsatz vertheidigt siegreich den Beschluß, zu dem die Gemeinen gekommen waren. Aber er beweist zu gleicher Zeit, daß sie nicht wußten was sie thaten, welche Revolution sie herbeiführten, welche Macht sie ins Leben riefen. Sie hoben kurz, klar, nachdrücklich und zuweilen mit einer nicht unpassenden ernsten Ironie die Widersinnigkeiten und Unbilligkeiten des Gesetzes hervor, das im Begriff war zu erlöschen. Aber man wird finden, daß alle ihre Einwürfe sich auf Details beziehen. Ueber die große Prinzipfrage, über die Frage, ob die Preßfreiheit im Ganzen ein Segen oder ein Fluch für die Gesellschaft sei, ist kein Wort gesagt. Die Censuracte wird verdammt, nicht als etwas dem Wesen nach Schlimmes, sondern nur wegen der kleinen Unzuträglichkeiten, wegen der Erpressungen, der Beeinträchtigungen, der Handelsbeschränkungen, der Haussuchungen, welche aus ihr entsprangen. Sie wird für nachtheilig erklärt, weil sie die Sortimentsbuchhändler in den Stand setzt, von den Verlegern Geld zu erpressen, weil sie die Agenten der Regierung ermächtigt, unter der Autorität von Generalvollmachten Haussuchungen vorzunehmen, weil sie den ausländischen Buchhandel auf den Hafen von London beschränkt, weil sie werthvolle Bücherballen im Zollhause zurückhält, bis die Blätter verschimmelt sind. Die Gemeinen hoben hervor, daß der Betrag der Gebühren, die der Censor verlangen kann, nicht festgestellt sei. Sie hoben hervor, daß es einem Zollbeamten bei Strafe verboten sei, eine von auswärts kommende Bücherkiste anders als in Anwesenheit eines der Censoren der Presse zu öffnen. Wie soll der Beamte wissen, wird sehr richtig gefragt, ob Bücher in der Kiste sind, so lange er sie nicht geöffnet hat? Dies waren die Argumente, welche erreichten, was Milton’s Areopagitica nicht gelungen war.

Die Lords fügten sich ohne Kampf. Sie erwarteten wahrscheinlich, daß eine weniger Einwendungen zulassende Bill zur Regulirung der Presse ihnen bald zugesandt werden würde, und eine solche Bill wurde auch wirklich im Hause der Gemeinen eingebracht, zweimal gelesen und einem gewählten Ausschusse überwiesen. Aber die Session ging zu Ende, bevor der Ausschuß seinen Bericht erstattet hatte, und die englische Literatur wurde von der Aufsicht der Presse befreit, und für immer befreit.7 Dieses hochwichtige Ereigniß ging fast unbeachtet vorüber. Evelyn und Luttrell hielten es nicht der Mühe werth, es in ihren Tagebüchern zu erwähnen, so wenig wie die holländischen Gesandten in ihren Depeschen. Auch in den Monthly Mercuries findet sich keine Notiz darüber. Die öffentliche Aufmerksamkeit war von anderen und weit aufregenderen Dingen in Anspruch genommen.

Halifax’ Tod

Eines dieser Dinge war der Tod des gebildetsten, erleuchtetsten und trotz großer Fehler achtungswerthesten der in dem verderbten und ausschweifenden Whitehall der Restauration gebildeten Staatsmänner. Ungefähr einen Monat nach dem glänzenden Leichenbegängnisse Mariens bewegte sich ein Leichenzug von fast prahlerischer Einfachheit um den Schrein Eduards’ des Bekenners nach der Kapelle Heinrich’s VII. Dort steht, wenige Fuß von ihrem Sarge, der Sarg Georg Savile’s, Marquis von Halifax.

Halifax und Nottingham waren seit langer Zeit Freunde, und Lord Eland, jetzt Halifax’ einziger Sohn, war mit Lady Marie Finch, Nottingham’s Tochter, verlobt. Der Tag der Vermählung war festgesetzt, eine heitere Gesellschaft versammelte sich in Burley on the Hill, dem Schlosse des Vaters der Braut, das von einer der schönsten Terrassen der ganzen Insel auf prächtige Buchen- und Eichenwälder, auf das fruchtbare Thal von Catmos und auf den Kirchthurm von Oakham herabsieht. Der Vater des Bräutigams wurde durch eine Unpäßlichkeit, die man nicht für gefährlich hielt, in London zurückgehalten. Plötzlich nahm die Krankheit einen beunruhigenden Character an. Man sagte ihm, daß er nur noch einige Stunden zu leben habe. Er hörte die Mittheilung mit ruhiger Fassung an. Es wurde vorgeschlagen, seinen Sohn durch einen Expressen nach der Stadt holen zu lassen. Aber Halifax, bis zum letzten Augenblicke gutmüthig, wollte die Freude des Hochzeitstages nicht stören. Er gab strengen Befehl, daß die Beerdigung in aller Stille vor sich gehen solle, und bereitete sich auf den großen Wechsel durch Andachtsübungen vor, welche Diejenigen in Erstaunen setzten, die ihn für einen Atheisten hielten, und starb mit der heiteren Ruhe eines Philosophen und eines Christen, während seine Freunde und Verwandten, seine Gefahr nicht ahnend, Weinmolken tranken und die Gardine zogen.8

Seine legitime männliche Nachkommenschaft starb bald aus. Doch kein geringer Theil seines Geistes und seiner Beredtsamkeit ging auf seinen Tochtersohn, Philipp Stanhope, vierten Earl von Chesterfield über. Aber es ist wahrscheinlich nicht allgemein bekannt, daß einige Abenteurer, die sich, ohne die Vortheile des Reichthums oder der Stellung zu besitzen, durch die bloße Kraft des Talents einen Namen gemacht haben, das Blut Halifax’ erbten. Er hinterließ einen natürlichen Sohn, Heinrich Carey, dessen Dramen einst zahlreiche Zuschauer ins Theater lockten und von dessen heiteren und geistreichen Versen einige noch im Gedächtniß von Hunderttausenden leben. Von Heinrich Carey stammte Edmund Kean ab, der sich in unsrer Zeit so wundervoll in Shylock, Jago und Othello verwandelte.

Mehr als ein Schriftsteller ist der Parteilichkeit für Halifax beschuldigt worden. Allerdings hat auch das Gedächtniß Halifax’ ganz besonderen Anspruch auf den Schutz der Geschichte. Denn was ihn vor allen anderen englischen Staatsmännern auszeichnet, ist der Umstand, daß er während einer langen öffentlichen Laufbahn und durch häufige und heftige Umwälzungen in der öffentlichen Meinung, von den großen Fragen seiner Zeit fast stets diejenige Ansicht faßte, welche die Geschichte schließlich angenommen hat. Er wurde unbeständig genannt, weil seine relative Stellung zu den streitenden Parteien fortwährend wechselte. Eben so gut könnte man den Polarstern unbeständig nennen, weil er bald östlich bald westlich von den Zeigern steht. Die alte und gesetzliche Verfassung des Reichs zu der einen Zeit gegen eine aufständische Volksmasse, zu einer andren Zeit gegen eine despotische Regierung vertheidigt zu haben; der hervorragendste Vertheidiger der Ordnung in dem stürmischen Parlamente von 1680, und der hervorragendste Vertheidiger der Freiheit in dem servilen Parlamente von 1685 gewesen zu sein; in den Tagen des papistischen Complots gegen die Römisch-Katholischen, in den Tagen des Ryehousecomplots gegen die Exclusionisten gerecht und nachsichtig gewesen zu sein; alles in seiner Macht Stehende gethan zu haben, um sowohl Stafford’s Kopf als auch Russell’s Kopf zu retten: dies war eine Laufbahn, welche Zeitgenossen, die von der Leidenschaft erhitzt und durch Namen und Parteizeichen verblendet waren, leicht begreiflicherweise wankelmüthig nennen konnten, die aber von Seiten der späten Gerechtigkeit der Nachwelt eine ganz andre Bezeichnung verdient.

Ein dunkler Flecken, aber auch nur einer, lastet auf dem Andenken dieses ausgezeichneten Mannes. Es ist ein schmerzlicher Gedanke, daß er, der eine so große Rolle in der Convention gespielt hatte, sich später dazu erniedrigen konnte, mit Saint-Germains zu verkehren. Das Factum läßt sich nicht bestreiten; für ihn aber giebt es Entschuldigungsgründe, welche für Andere, die des nämlichen Verbrechens schuldig waren, nicht geltend gemacht werden können. Er hinterging nicht, wie Marlborough, Russell, Godolphin und Shrewsbury, einen Gebieter, der ihm Vertrauen schenkte und mit Wohlthaten überhäufte. Die Undankbarkeit und Bosheit der Whigs trieben ihn dazu, einen Augenblick bei den Jakobiten Schutz zu suchen. Es muß jedoch hinzugesetzt werden, daß er den Fehler, zu dem ihn die Leidenschaft verführte, bald bereute, daß er, obwohl nie mit dem Hofe wieder ausgesöhnt, sich durch seinen Eifer für die nachdrückliche Fortsetzung des Kriegs auszeichnete und daß sein letztes Werk eine Schrift war, in der er seine Landsleute ermahnte zu bedenken, daß die öffentlichen Lasten, so drückend sie auch scheinen mochten, leicht seien im Vergleich zu dem Joche Frankreich’s und Rom’s.9

Etwa vierzehn Tage nach Halifax’ Tode traf seinen alten Nebenbuhler und Feind, den Lordpräsidenten, ein viel härterer Schlag als der Tod. Dieser talentvolle, ehrgeizige und kühne Staatsmann wurde abermals von der Höhe der Macht herabgestürzt. Sein erster Sturz hatte, so heftig er auch gewesen war, doch etwas Würdevolles gehabt, und indem er mit seltener Geschicklichkeit eine außerordentliche Krisis in den Staatsangelegenheiten benutzte, hatte er sich noch einmal zur höchsten Stellung unter den englischen Unterthanen emporgeschwungen. Der zweite Sturz war zwar minder heftig als der erste; aber er war schimpflich und nicht wieder gut zu machen.

Parlamentarische Untersuchungen wegen der Corruption in den öffentlichen Aemtern

Die Unterschleife und die Bestechungen, durch welche die damaligen Beamten sich zu bereichern pflegten, hatten das Volk in eine Stimmung versetzt, die früher oder später nothwendig eine furchtbare Explosion zur Folge haben mußte. Aber die Gewinne wurden auf der Stelle gemacht, der Tag der Vergeltung war ungewiß und die Plünderer des Staats waren so gierig und frech wie je, als die lange gedrohte und lange verzögerte Rache plötzlich den Stolzesten und Mächtigsten von ihnen ereilte.

Das erste Grollen des herannahenden Sturmes verrieth nicht im mindesten die Richtung, die er nehmen, oder die Wuth, mit der er ausbrechen würde. Ein in Royston liegendes Infanterieregiment hatte von den Bewohnern dieser Stadt und deren Umgegend Contributionen erhoben. Die erpreßte Summe war nicht bedeutend. In Frankreich oder Brabant würde die Mäßigkeit des Verlangten für wunderbar gehalten worden sein. Den englischen Kaufleuten und Landwirthen aber war die militärische Erpressung zum Glück etwas ganz Neues und Unerträgliches. Es wurde den Gemeinen eine Petition übersandt, und die Gemeinen forderten die Ankläger und Angeklagten vor die Schranke. Es stellte sich bald heraus, daß ein schweres Vergehen verübt worden, daß aber die Verbrecher einigermaßen zu entschuldigen waren. Die öffentlichen Gelder, welche die Schatzkammer zu ihrer Löhnung und ihrem Unterhalte hergegeben hatte, waren von ihrem Obersten und seinen Agenten betrügerischerweise zurückgehalten worden. Es war kein Wunder, wenn Leute, welche Waffen hatten und denen es an den nothwendigsten Bedürfnissen fehlte, wenig nach der Bitte um Recht und nach der Rechtserklärung fragten. Aber empörend war es, daß der Soldat, während der Bürger schwer besteuert war, damit dem Soldaten der höchste in Europa bekannte Militärsold bezahlt werden konnte, durch gänzlichen Mangel dazu getrieben wurde, den Bürger zu brandschatzen. Dies wurde in einer Vorstellung, welche die Gemeinen Wilhelm vorlegten, nachdrücklich hervorgehoben. Wilhelm, der schon längst gegen Mißbräuche kämpfte, welche die Wirksamkeit seiner Armee empfindlich beeinträchtigten, freute sich, daß seine Hand auf diese Weise gekräftigt wurde. Er versprach vollständige Genugthuung, cassirte den schuldigen Obersten, gab strengen Befehl, daß den Truppen ihr Sold regelmäßig ausgezahlt werde und ernannte eine Militärbehörde zur Entdeckung und Bestrafung solcher Ungebührlichkeiten, wie sie in Royston vorgekommen waren.10

Aber die ganze Verwaltung war in einem solchen Zustande, daß es kaum möglich war, einen Schuldigen zu bestrafen, ohne zehn andere zu entdecken. Im Laufe der Untersuchung über das Benehmen der Truppen in Royston kam es an den Tag, daß Heinrich Guy, Parlamentsmitglied für Heydon und Sekretär des Schatzamts, eine Bestechungssumme von zweihundert Guineen angenommen hatte. Guy wurde sogleich in den Tower geschickt, nicht ohne großen Jubel seitens der Whigs, denn er war eines von den Werkzeugen, welche zugleich mit den Gebäuden und Einrichtungen der öffentlichen Aemter von Jakob auf Wilhelm übergegangen waren; er spielte die Rolle eines Hochkirchlichen, und man wußte, daß er mit einigen Oberhäuptern der Torypartei, und namentlich mit Trevor, eng befreundet war.11

Ein andrer Name, der später eine nur zu weit verbreitete Berühmtheit erlangte, wurde damals dem Publikum zuerst bekannt. Jakob Craggs hatte seine Laufbahn als Barbier begonnen. Dann war er Bedienter der Herzogin von Cleveland geworden. Seine ausgezeichneten, wenn auch nicht durch Unterricht ausgebildeten Naturgaben hatten ihn in der Welt emporgehoben, und er betrat jetzt eine Laufbahn, die nach einem Viertel Jahrhundert des Glücks mit unbeschreiblichem Elend und Verzweiflung endigen sollte. Er war Tuchlieferant für die Armee geworden. Er wurde über seinen Geschäftsverkehr mit den Regimentsobersten vernommen, und da er sich hartnäckig weigerte, seine Bücher vorzulegen, wurde er in den Tower geschickt, um Guy Gesellschaft zu leisten.12

Wenige Stunden nachdem Craggs ins Gefängniß geworfen worden war, legte ein Ausschuß, der ernannt war, um die Begründung einer von einigen Miethkutschern London’s eingereichten Petition zu untersuchen, einen Bericht auf den Tisch des Hauses nieder, der allgemeinen Abscheu und Unwillen erregte. Es ergab sich, daß diese armen ihr Brot sauer verdienenden Menschen von der Behörde, unter deren Aufsicht sie eine Acte der vorigen Session gestellt hatte, schwere Unbill erfahren hatten. Sie waren nicht allein von den Commissaren, sondern auch von dem Bedienten eines Commissars und von der Concubine eines andren gebrandschatzt und insultirt worden. Die Gemeinen richteten eine Adresse an den König und der König entsetzte die Schuldigen ihrer Stellen.13

Inzwischen aber begann Verbrechern, die in Macht und Rang weit höher standen, bange zu werden. Bei jeder neuen Entdeckung wuchs die Aufregung sowohl innerhalb als auch außerhalb der Mauern des Parlaments. Das entsetzliche Ueberhandnehmen von Bestechung, Corruption und Erpressung bildete überall den Gegenstand des Tagesgesprächs. Ein zeitgenössischer Pamphletist vergleicht den damaligen Zustand der politischen Welt mit dem Zustande einer Stadt, in der man so eben das Herrschen einer Pestseuche entdeckt hat und in der die Schreckensworte „Gott sei uns gnädig” bereits an einigen Thüren zu lesen sind.14 Geflüster, das zu einer andren Zeit rasch verklungen und vergessen worden wäre, schwoll jetzt zu Murren und dann zu lautem Geschrei an. Es entstand und verbreitete sich das Gerücht, daß die Gelder der beiden reichsten Corporationen des Landes, der City von London und der Ostindischen Compagnie, in bedeutendem Maße zur Bestechung hochgestellter Männer verwendet worden seien, und es wurden die Namen Trevor, Seymour und Leeds genannt.

Die Nennung dieser Namen verursachte eine große Aufregung in den Reihen der Whigs. Trevor, Seymour und Leeds waren alle Drei Tories und übten auf verschiedenen Wegen einen größeren Einfluß aus, als vielleicht irgend drei andere Tories des Königreichs. Wenn sie alle Drei zu gleicher Zeit mit beflecktem Rufe aus dem öffentlichen Leben verdrängt werden konnten, so hatten dann die Whigs im Parlament wie im Cabinet das entschiedene Uebergewicht.

Wharton war nicht der Mann, sich eine solche Gelegenheit entgehen zu lassen. In White’s Kaffeehause, unter den jungen vornehmen Herren, die in Politik und Ausschweifung seine Schüler waren, würde er gewiß herzlich gelacht haben über die Wuth, mit der die Nation plötzlich Leute deshalb zu verfolgen begann, weil sie etwas thaten, was Jedermann stets gethan hatte und stets zu thun versuchte. Aber wenn die Menschen einmal Thoren sein wollten, so war es Sache eines Staatsmannes, ihre Thorheit zu benutzen. Die Sprache der politischen Reinheit war den Lippen Wharton’s nicht so geläufig als gotteslästerliche und unzüchtige Reden; aber seine Manieren waren so geschmeidig und seine Unverschämtheit so groß, daß er vor der Welt als ein sittenstrenger Patriot aufzutreten wagte, der über die Feilheit und Treulosigkeit eines entarteten Zeitalters trauerte. Während er, von dem heftigen Parteigeiste beseelt, der bei rechtschaffenen Männern für einen Fehler gegolten haben würde, der aber bei ihm fast eine Tugend war, seine Freunde eifrig aufstachelte, eine Untersuchung über die Wahrheit der circulirenden schlimmen Gerüchte zu verlangen, wurde der Gegenstand plötzlich und nachdrücklich in den Vordergrund gedrängt. Der Zufall wollte, daß, als eine Bill von geringem Interesse bei den Gemeinen berathen wurde, der Briefträger mit zahlreichen Briefen an Mitglieder ankam, und die Vertheilung erfolgte an der Schranke unter einem Gemurmel, das die Stimmen der Redner übertäubte. Seymour, den sein gebieterischer Character beständig antrieb zu befehlen und zu moniren, verwies den Plaudernden die anstößige Ordnungswidrigkeit ihres Benehmens und forderte den Sprecher auf, es zu rügen. Es erfolgte ein heftiger Wortwechsel und einer der Schuldigen ließ sich so weit hinreißen, daß er auf die über Seymour und den Sprecher umlaufenden Geschichten anspielte. „Es ist allerdings unpassend zu plaudern, während eine Bill berathen wird; aber noch viel schlimmer ist es, Geld anzunehmen, um eine Bill durchzubringen. Wenn wir eine leichte Formverletzung so streng rügen wollen, wie streng sollten wir dann erst gegen die Corruption auftreten, welche das Wesen unserer Institutionen selbst untergräbt!” Das war genug; der Funke war gefallen, der Pulverfaden lag bereit, die Explosion erfolgte augenblicklich und mit furchtbarer Heftigkeit. Nach einer stürmischen Debatte, in der sich zu wiederholten Malen der Ruf: „der Tower!” vernehmen ließ, traf Wharton Anstalt, sein Vorhaben durchzusetzen. Bevor das Haus die Sitzung aufhob, wurde ein Ausschuß zur Prüfung der Bücher der City von London und der Ostindischen Compagnie ernannt.15

Tadelsvotum gegen den Sprecher des Hauses der Gemeinen

Foley wurde zum Präsidenten des Ausschusses ernannt. Vor Ablauf einer Woche berichtete er, daß der Sprecher, Sir Johann Trevor, unter der vorigen Session von der City tausend Guineen zur Beschleunigung einer Lokalbill erhalten habe. Diese Entdeckung freute die Whigs, welche Trevor von jeher haßten, ungemein und war selbst vielen Tories nicht unangenehm. Seit sechs geschäftsreichen Sessionen hatte seine schmutzige Habgier ihn zum Gegenstand des allgemeinen Abscheus gemacht. Die gesetzlichen Einkünfte seines Postens betrugen ungefähr viertausend Pfund jährlich; aber man glaubte, daß er sich auf mindestens zehntausend Pfund gestanden habe.16 Seine Schamlosigkeit und sein Hochmuth waren selbst dem engelgleichen Character Tillotson’s zu stark gewesen, und man wollte den sanften Erzbischof etwas von einem Schurken haben murmeln hören, als der Sprecher bei ihm vorüberging.17 Doch so groß die Verbrechen dieses abscheulichen Mannes waren, seine Strafe war ihnen vollkommen angemessen. Sobald der Ausschußbericht verlesen war, wurde beantragt zu resolviren, daß er sich eines schweren Verbrechens und Vergehens schuldig gemacht habe. Er mußte aufstehen und die Frage stellen. Es erhob sich alsbald ein lautes Jageschrei. Er rief die Neins auf, und fast keine einzige Stimme ließ sich vernehmen. Er sah sich gezwungen zu erklären, daß die Jas überwögen. Ein Mann von Ehre würde vor Reue und Scham in die Erde gesunken sein, und die unsägliche Schande dieses Augenblicks ließ selbst in dem verstockten Herzen und auf der frechen Stirn Trevor’s ihre Spuren zurück. Wäre er am folgenden Tage wieder in der Kammer erschienen, so würde er über seine eigne Ausstoßung die Frage haben stellen müssen. Er schützte daher Unpäßlichkeit vor und schloß sich in sein Schlafzimmer ein. Wharton überbrachte den Gemeinen bald eine königliche Botschaft, die sie ermächtigte, einen andren Sprecher zu wählen.

Foley zum Sprecher erwählt

Die Whighäupter wollten Littleton auf den Präsidentenstuhl bringen; aber es gelang ihnen nicht, diese Absicht zu erreichen. Foley wurde gewählt, vorgestellt und bestätigt. Obwohl er neuerdings in der Regel mit den Tories gestimmt hatte, nannte er sich noch immer einen Whig und war auch vielen Whigs nicht unangenehm. Er besaß sowohl die Talente als auch die Kenntnisse, deren es bedurfte, um den Debatten mit Würde präsidiren zu können; was aber in der eigenthümlichen Lage, in der sich das Haus damals befand, nicht ohne Grund als seine empfehlendste Eigenschaft betrachtet wurde, das war sein unversöhnlicher Abscheu vor Betrug und Corruption, den er ein wenig prahlerisch zur Schau trug, aber auch ohne Zweifel wirklich empfand. Den Tag darauf, nachdem er seine Functionen angetreten hatte, wurde sein Vorgänger ausgestoßen.18

Untersuchung der Rechnungen der Ostindischen Compagnie

Die Unbesonnenheit Trevor’s war eben so groß gewesen als seine Schlechtigkeit, und seine Schuld war bei der ersten Prüfung der Rechnungen der City zu Tage getreten. Die Rechnungen der Ostindischen Compagnie waren verwickelter. Der Ausschuß berichtete, daß er sich nach Leadenhall Street begeben, die Papiere untersucht, die Directoren und Commis befragt habe, aber nicht im Stande gewesen sei, dem Geheimnisse der Widerrechtlichkeit auf den Grund zu kommen. Einige höchst verdächtige Buchungen habe man unter der Bezeichnung „besonderer Dienstaufwand” entdeckt. Die Ausgaben dieses Conto’s hätten im Jahre 1693 über achtzigtausend Pfund betragen. Es sei erwiesen, daß die Directoren bezüglich der Verausgabung dieses Geldes dem Gouverneur, Sir Thomas Cook, unbedingtes Vertrauen geschenkt hätten. Er habe ihnen nur in allgemeinen Ausdrücken gesagt, daß er in Angelegenheit der Concession dreiundzwanzigtausend, fünfundzwanzigtausend, dreißigtausend Pfund habe ausgeben müssen, und die Directoren hätten ihm, ohne specielle Rechnungsablage zu verlangen, für seine Sorgfalt gedankt und ihm ohne weiteres Anweisungen auf diese bedeutenden Summen ausstellen lassen. Einige aufsässige Directoren hätten zwar über diese enorme Ausgabe gemurrt und einen detaillirten Status verlangt; aber sie hätten keine andre Antwort aus Cook herausbekommen können, als daß es nothwendig gewesen sei, einige hochgestellte Personen zu beschenken.

Verdächtiges Treiben Seymour’s

Der Ausschuß berichtete ferner, daß er ein contractliches Uebereinkommen gefunden habe, kraft dessen die Compagnie sich verpflichtet habe, einer Person, Namens Colston, zweihundert Tonnen Salpeter zu liefern. Auf den ersten Anblick schien dieses Geschäft kaufmännisch und in Ordnung zu sein. Bald aber kam man dahinter, daß Colston nur ein Agent Seymour’s war. Dies erweckte Verdacht. Die verwickelten Bedingungen des Contracts wurden genau untersucht und sie ergaben sich als in der Weise festgestellt, daß in jedem möglichen Falle eine Summe von zehn- bis zwölftausend Pfund von Seymour gewonnen und von der Compagnie verloren werden mußte. Alle Sachverständigen waren der Ansicht, daß der Contract ein bloßes Scheindocument sei, das eine Bestechung verdecken sollte. Die Maske war aber so geschickt gemacht, daß die Landgentlemen sich nicht hineinfinden konnten und daß selbst die Juristen zweifelten, ob solche Beweise von Bestechung vorlägen, wie sie ein Gerichtshof für genügend erachten würde. Seymour kam sogar ohne Tadelsvotum davon und nahm nach wie vor einen leitenden Antheil an den Debatten der Gemeinen.19 Aber die Autorität, die er lange im Hause und in den westlichen Grafschaften ausgeübt hatte, war, wenn auch nicht vernichtet, doch sichtbar vermindert, und bis an das Ende seines Lebens blieb sein Salpeterhandel ein Lieblingsthema für whiggistische Pamphletisten und Dichter.20

Bill gegen Sir Thomas Cook

Das Entrinnen Seymour’s fachte den Eifer Wharton’s und seiner Verbündeten nur noch mehr an. Sie waren entschlossen zu entdecken, wohin die achtzig- bis neunzigtausend Pfund „geheimer Dienstaufwand” gekommen waren, welche die Ostindische Compagnie Cook anvertraut hatte. Cook, welcher Abgeordneter für Colchester war, wurde auf seinem Platze befragt; er weigerte sich Rede zu stehen, wurde in den Tower geschickt, und eine Bill wurde eingebracht, des Inhalts, daß, wenn er bis zu einem bestimmten Tage nicht die ganze Wahrheit gestände, er nie mehr fähig sein solle, ein Amt zu bekleiden, der Compagnie die ganze ihm anvertraute ungeheure Summe zurückerstatten und außerdem eine Geldbuße von zwanzigtausend Pfund an die Krone bezahlen müsse. So reich er auch war, diese Geldbußen würden ihn an den Bettelstab gebracht haben. Die Gemeinen waren in einer solchen Stimmung, daß sie die Bill ohne eine einzige Abstimmung annahmen.21 Seymour trat zwar, obgleich sein Salpetercontract das Stadtgespräch bildete, mit frecher Stirn auf, um seinen Complicen in Schutz zu nehmen; aber seine Frechheit schadete der Sache nur, die er vertheidigte.22 Im Oberhause wurde die Bill vom Herzoge von Leeds in den stärksten Ausdrücken verurtheilt. Die Hand auf das Herz gelegt, erklärte er auf sein Wort, auf seine Ehre, daß er kein persönliches Interesse an der Sache habe und daß er durch kein andres Motiv als das einer reinen Gerechtigkeitsliebe getrieben werde. Seine Beredtsamkeit erhielt eine mächtige Stütze an den Thränen und Wehklagen Cooks, der von der Schranke aus die Peers beschwor, ihn nicht einer den milden Gesetzen England’s unbekannten Tortur zu unterwerfen. „Nehmen Sie,” sagte er, „anstatt dieser grausamen Bill eine Indemnitätsbill an, und ich werde Ihnen Alles sagen.” Die Lords hielten sein Verlangen für nicht ganz unbillig. Nach einigen Verhandlungen mit den Gemeinen wurde beschlossen, daß ein gemeinsamer Ausschuß ernannt werden sollte, um zu untersuchen, wofür der geheime Dienstaufwand der Ostindischen Compagnie verausgabt worden sei, und es wurde rasch eine Acte angenommen, welche bestimmte, daß, wenn Cook diesem Ausschusse offene und vollständige Enthüllungen mache, er für die einzugestehenden Verbrechen nicht bestraft werden, daß er aber, bis er ein solches Geständniß ablege, im Tower bleiben solle. Gegen dieses Arrangement opponirte Leeds öffentlich so entschieden, als er es schicklicherweise thun konnte. Insgeheim wendeten Diejenigen, die sich schuldig fühlten, allerhand Kunstgriffe an, um einer Untersuchung vorzubeugen. Man raunte sich zu, daß Dinge an den Tag kommen würden, von denen jeder gute Engländer wünschen müßte, daß sie verborgen blieben, und daß der größte Theil der durch Cook’s Hände gegangenen Summen an Portland zum Gebrauch Sr. Majestät bezahlt worden sei. Aber das Parlament und die Nation waren entschlossen, die Wahrheit zu erfahren, gleichviel wer durch die Enthüllung leiden würde.23

Untersuchung durch einen vereinigten Ausschuß der Lords und Gemeinen

Sobald die Indemnitätsbill die königliche Genehmigung erhalten hatte, trat der vereinigte Ausschuß, bestehend aus zwölf Lords und vierundzwanzig Mitgliedern des Hauses der Gemeinen, im Sitzungssaale der Schatzkammer zusammen. Wharton wurde zum Vorsitzenden ernannt und in wenigen Stunden wurden wichtige Entdeckungen gemacht.

Der König und Portland gingen mit unbefleckter Ehre aus der Untersuchung hervor. Der König hatte nicht nur keinen Theil an den von Cook verausgabten geheimen Dienstgeldern, sondern er hatte sogar seit einigen Jahren nicht einmal das gewöhnliche Geschenk erhalten, das die Compagnie unter früheren Regierungen alljährlich am Fuße des Thrones niedergelegt. Es ergab sich, daß Portland nicht weniger als fünfzigtausend Pfund angeboten und von ihm zurückgewiesen worden waren. Das Geld lag ein ganzes Jahr bereit, um ihm ausgezahlt zu werden, wenn er andren Sinnes werden sollte. Endlich sagte er Denen, die in ihn drangen, diese ungeheure Bestechungssumme anzunehmen, daß sie ihn zu einem Feinde ihrer Compagnie machen würden, wenn sie ihn noch länger durch ein solches Anerbieten beleidigten. Viele wunderten sich über die Rechtschaffenheit, die er bei dieser Gelegenheit bewies, denn er galt allgemein für eigennützig und habgierig. Das Wahre an der Sache scheint zu sein, daß er zwar das Geld liebte, aber ein Mann von strenger Rechtschaffenheit und Ehre war. Er nahm ohne Besinnen Alles was er mit Ehren nehmen zu können glaubte, war aber unfähig, sich zu einer Gemeinheit zu erniedrigen. Er fühlte sich sogar durch die Complimente beleidigt, die ihm bei dieser Gelegenheit gesagt wurden.24 Nottingham’s Rechtschaffenheit konnte nicht Wunder nehmen. Auch ihm waren zehntausend Pfund angeboten, aber zurückgewiesen worden. Die Zahl der Fälle, in denen stattgefundene Bestechung vollständig erwiesen wurde, war klein. Ein großer Theil der Summe, welche Cook aus der Casse der Compagnie gezogen hatte, war wahrscheinlich von den Agenten unterschlagen worden, deren er sich bei dem Bestechungswerke bedient hatte, und wohin das Uebrige gekommen war, konnte man aus den widerstrebenden Zeugen, welche vor den Ausschuß gebracht wurden, nicht leicht erfahren. Ein Lichtstrahl zeigte sich jedoch; man ging ihm nach, und er führte zu einer Entdeckung von der höchsten Wichtigkeit. Eine bedeutende Summe war von Cook einem Agenten, Namens Firebrace, und von Firebrace einem andren Agenten, Namens Bates, verabfolgt worden, von dem man genau wußte, daß er mit der Hochkirchenpartei und insbesondere mit Leeds in enger Beziehung stand. Bates wurde vorgeladen, aber er machte sich aus dem Staube; man schickte Boten zu seiner Verfolgung ab, er wurde ergriffen, in das Schatzkammergericht gebracht und vereidigt. Die Geschichte, die er erzählte, bewies, daß er zwischen der Furcht, seine Ohren zu verlieren, und der Furcht, seinem Gönner zu schaden, hin und her schwankte. Er gestand, daß er es auf sich genommen habe, Leeds zu bestechen, daß ihm zu dem Ende fünftausendfünfhundert Guineen übergeben worden seien, daß er diese Guineen Sr. Gnaden angeboten und dieselben mit Erlaubniß Sr. Gnaden in dessen Hause einem Schweizer, Namens Robart, eingehändigt habe, der Sr. Gnaden vertrauter Geschäftsmann sei. Man sollte meinen, daß diese Thatsache nur eine Deutung zuließe. Bates schwur jedoch, der Herzog habe sich geweigert, auch nur einen Farthing anzunehmen. „Warum,” fragte man, „wurde dann das Gold mit seiner Bewilligung in seinem Hause und in den Händen seines Dieners zurückgelassen?” – „Weil ich schlecht Geld zählen kann,” antwortete Bates. „Ich bat deshalb Se. Gnaden um die Erlaubniß, die Goldstücke dalassen zu dürfen, damit Robart sie für mich zählen möchte, und Se. Gnaden hatte die Güte, dies zu gestatten.” Es lag auf der Hand, daß, wenn diese wunderliche Geschichte wahr gewesen wäre, die Guineen in einigen Stunden hätten wieder abgeholt werden müssen. Aber Bates mußte eingestehen, daß sie ein halbes Jahr da geblieben waren, wo er sie zurückgelassen hatte. Allerdings war das Geld schließlich – und dies war im vorliegenden Falle einer der verdächtigsten Umstände, – von Robart gerade an dem Morgen zurückgezahlt worden, wo der Ausschuß seine erste Zusammenkunft im Schatzkammergericht hielt. Wer konnte glauben, daß, wenn die Geschichte frei von jedem Anschein von Bestechung gewesen wäre, die Guineen, so lange Cook schweigen konnte, zurückgehalten und an dem elften Tage wo er genöthigt war sich auszusprechen, zurückerstattet worden sein würden?

Anklage gegen Leeds

Wenige Stunden nach dem Verhöre Bates’ berichtete Wharton den Gemeinen was im Schatzkammergericht vorgegangen war. Die Entrüstung war allgemein und heftig. „Sie begreifen jetzt,” sagte Wharton, „warum uns bei jedem Schritte Hindernisse in den Weg gelegt wurden, warum wir die Wahrheit tropfenweis herauspressen mußten, warum der Name Sr. Majestät arglistig genannt wurde, damit wir von einer Untersuchung abstehen sollten, die nichts zu Tage gebracht hat, was Sr. Majestät nicht zur Ehre gereichte. Dürfen wir uns wundern, daß wir mit so großen Schwierigkeiten zu kämpfen hatten, wenn wir die Macht, Gewandtheit und Erfahrung des Mannes bedenken, der uns im Geheimen entgegenarbeitete? Es ist Zeit, der Welt einmal schlagend zu beweisen, daß kein Verbrecher sich so schlau zu verbergen oder so hoch zu klimmen vermag, daß wir ihn nicht aufspüren oder erreichen könnten. Nie hat es ein schändlicheres Beispiel von Bestechung gegeben, nie hat ein Verbrecher weniger Anspruch auf Nachsicht gehabt. Die Verpflichtungen, welche der Herzog von Leeds gegen sein Vaterland hat, sind nicht gewöhnlicher Art. Eine große Schuld haben wir schon großmüthig gestrichen; aber die Art und Weise, wie unsre Großmuth vergolten worden ist, zwingt uns zu berücksichtigen, daß er vor langer Zeit angeklagt war, Geld aus Frankreich zu beziehen. Wie können wir sicher sein, so lange ein Mann, dessen Feilheit erwiesen ist, Zugang zum Ohre des Königs hat? Unsere am besten vorbereiteten Unternehmungen sind vereitelt, unsere geheimsten Beschlüsse sind verrathen worden. Und dürfen wir uns darüber wundern? Können wir daran zweifeln, daß er neben seinem inländischen Handel mit Concessionen einen einträglichen auswärtigen Handel mit Geheimnissen treibt? Können wir zweifeln, das der Mann, der uns Einen an den Andren verkauft, für einen guten Preis uns Alle an den gemeinsamen Feind verkaufen wird?” Wharton schloß mit dem Antrage, daß Leeds wegen schwerer Verbrechen und Vergehen in Anklagestand versetzt werden solle.25

Leeds hatte viele Freunde und Anhänger im Hause der Gemeinen, aber sie konnten wenig sagen. Wharton’s Antrag wurde ohne Abstimmung angenommen und er selbst beauftragt, an die Schranke der Lords zu gehen und dort den Herzog im Namen der Gemeinen England’s anzuklagen. Noch ehe er aber diesen Auftrag ausführen konnte, wurde gemeldet, daß Se. Gnaden an der Thür sei und um Gehör bitten lasse.

Während Wharton bei den Gemeinen seinen Bericht erstattete, hatte Leeds eine Ansprache an die Lords gehalten. Er leugnete unter den feierlichsten Versicherungen, daß er jemals Geld für sich angenommen habe. Dagegen aber gestand er zu und rühmte sich dessen sogar, daß er Bates dazu aufgemuntert habe, von der Compagnie Geld zu nehmen, und er schien der Meinung, daß dies ein Dienst sei, den der Freund eines am Staatsruder stehenden Mannes billigerweise von diesem erwarten könne. Nur zu Viele machten damals in der That einen höchst albernen und verderblichen Unterschied zwischen einem Minister, der seinen Einfluß benutzte, um sich selbst Geschenke zu verschaffen, und einem Minister, der seinen Einfluß benutzte, um für seine Anhänger Geschenke zu erlangen. Jener war schlecht, dieser nur gutherzig. Leeds erzählte hierauf mit großer Selbstgefälligkeit eine Geschichte von sich, die in unseren Zeiten einen Staatsdiener nicht nur aus dem Amte, sondern aus jeder anständigen Gesellschaft vertreiben würde. „Als ich zu König Karl’s Zeiten Schatzmeister war, Mylords, sollte die Accise verpachtet werden. Es waren mehrere Bewerber da. Harry Savile, den ich sehr hoch schätzte, theilte mir mit, daß sie ihn um seine Fürsprache bei mir ersucht hätten, und bat mich ihnen zu sagen, er habe sein Möglichstes für sie gethan. „Wie?” entgegnete ich, „das soll ich ihnen Allen sagen, während doch nur Einer den Pacht haben kann?” – „Thut nichts,” versetzte Harry, „sagen Sie es nur Allen; Der, welcher den Pacht bekommt, wird dann glauben, daß er ihn mir verdankt.” Die Herren kamen und ich sagte jedem von ihnen besonders: „Sie sind Mr. Savile sehr zu Dank verpflichtet, Sir;” oder: „Mr. Savile hat Ihnen einen großen Freundschaftsdienst erzeigt, Sir.” Schließlich erhielt Savile ein anständiges Präsent, und ich gratulirte ihm dazu. Ich war damals sein Schatten. Jetzt bin ich Mr. Bates’ Schatten.”

Der Herzog hatte diese Anekdote, die ein so grelles Licht auf den damaligen Zustand der politischen Moralität wirft, kaum erzählt, als ihm unter der Hand mitgetheilt wurde, daß im Hause der Gemeinen der Antrag gestellt worden sei, ihn in Anklagestand zu versetzen. Er eilte dahin, aber noch ehe er ankam, war die Frage bereits gestellt und angenommen. Dessenungeachtet drang er auf Einlaß, und er wurde eingelassen. Nach altem Brauche wurde innerhalb der Schranke ein Stuhl für ihn hingestellt und ihm angezeigt, daß das Haus bereit sei ihn anzuhören.

Er sprach, aber mit weniger Takt und Einsicht als gewöhnlich. Er pries seine eigenen dem Staate geleisteten Dienste. Ohne ihn, sagte er, würde es kein Haus der Gemeinen gegeben haben, das ihn hätte anklagen können, eine Prahlerei, die so überspannt war, daß seinen Zuhörern nothwendig die Lust vergehen mußte, ihm dasjenige Lob zuzugestehen, das sein Verhalten zur Zeit der Revolution wirklich verdiente. Ueber die gegen ihn erhobene Anklage sagte er nicht viel mehr als daß er unschuldig sei, daß man schon längst mit dem böswilligen Plane umgehe, ihn ins Verderben zu stürzen, daß er nicht auf Einzelnheiten eingehen wolle, daß die Facta, welche bewiesen worden seien, zweierlei Deutungen zuließen, und daß von diesen beiden Deutungen billigerweise die günstigere angenommen werden müsse. Er entfernte sich, nachdem er das Haus gebeten hatte, den eben gefaßten Beschluß noch einmal zu erwägen, oder, wenn dies nicht sein könne, ihm wenigstens bald Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.

Seine Freunde fühlten wohl, daß seine Rede keine Vertheidigung war, und sie versuchten es daher auch gar nicht, den Beschluß rückgängig zu machen, der unmittelbar vor seiner Anhörung gefaßt worden war. Wharton begab sich in zahlreicher Begleitung zu den Lords und zeigte ihnen an, daß die Gemeinen beschlossen hätten, den Herzog in Anklagestand zu versetzen. Es wurde ein Ausschuß ernannt, um die Artikel aufzusetzen und die Beweise vorzubereiten.26

Die Anklageartikel waren bald aufgesetzt, aber in der Beweiskette fehlte ein Glied. Dieses Glied konnte aller Wahrscheinlichkeit noch Robart liefern, wenn er streng verhört und mit anderen Zeugen confrontirt wurde. Die Gemeinen erließen eine Vorladung an ihn. Ein Bote begab sich damit nach der Wohnung des Herzogs von Leeds und erhielt dort den Bescheid, daß der Schweizer schon seit drei Tagen abwesend sei und daß der Portier nicht sagen könne, wo er sich aufhalte. Die Lords richteten unverzüglich eine Adresse an den König, worin sie ihn ersuchten, Befehl zu geben, daß die Häfen gesperrt und der Flüchtling festgenommen werde. Aber Robart war schon in Holland auf dem Wege nach seinen heimischen Bergen.

Die Flucht dieses Mannes machte es den Gemeinen unmöglich, die Sache weiter zu verfolgen. Sie beschuldigten Leeds mit Heftigkeit, daß er den Zeugen entfernt habe, der allein den juristischen Beweis für Thatsachen liefern konnte, welche durch moralische Beweise bereits festgestellt waren. Leeds, der jetzt wegen des Ausgangs der Anklage beruhigt war, gab sich das Ansehen eines schwer Beleidigten. „Mylords,” sagte er, „das Verfahren der Gemeinen ist beispiellos. Sie beschuldigen mich eines schweren Verbrechens, sie versprechen es zu beweisen; dann finden sie, daß sie nicht die Mittel haben es zu beweisen, und sie machen mir Vorwürfe, daß ich ihnen diese Mittel nicht liefere. Sie hätten gewiß eine solche Anklage nicht erheben sollen, ohne wohl zu überlegen, ob sie auch genügende Beweise hatten, um sie aufrecht zu erhalten, oder nicht. Wenn Robart’s Zeugniß, wie sie jetzt sagen, unerläßlich ist, warum ließen sie ihn nicht kommen und ihn seine Geschichte erzählen, ehe sie sich zur Anklage entschlossen? Sein Verschwinden haben sie ihrer eignen Maßlosigkeit, ihrer eignen Uebereilung zuzuschreiben. Er ist ein Ausländer, er ist ängstlich, er hört, daß ein Vorgang, bei dem er betheiligt gewesen, vom Hause der Gemeinen für höchst strafbar erklärt, daß sein Herr angeklagt, daß sein Freund Bates im Gefängniß sei und daß jetzt an ihn die Reihe kommen solle. Natürlich bekommt er Furcht, flüchtet sich in sein Vaterland, und so weit ich ihn kenne, möchte ich wohl behaupten, daß er sich sobald nicht wieder in den Bereich einer Vorladung des Sprechers wagen wird. Aber was geht das Alles mich an? Soll ich mein ganzes Leben lang das Brandmal einer solchen Beschuldigung mit mir herumtragen, lediglich deshalb, weil die Heftigkeit meiner Ankläger ihren Zeugen aus England getrieben hat? Ich verlange sofortige Prozessirung. Ich fordere Eure Lordschaften auf zu beschließen, daß die Anklage zurückgewiesen werden soll, wenn die Gemeinen dieselbe nicht vor dem Schlusse der Session anbringen.” Einige befreundete Stimmen riefen: „Gut beantragt!” Aber die Peers im allgemeinen waren nicht geneigt einen Schritt zu thun, der für das Unterhaus und die große Masse Derer, welche dieses Haus vertrat, im höchsten Grade beleidigend gewesen wäre. Der Antrag des Herzogs fiel durch und einige Stunden darauf wurde das Parlament prorogirt.27

Leeds’ Entlassung

Die Anklage wurde nie wieder erneuert. Der Beweis, der eine formelle Schuldigerklärung begründet haben würde, konnte nicht beigebracht werden, und eine formelle Schuldigerklärung würde Wharton’s Zweck schwerlich besser entsprochen haben, als die unformelle Schuldigerklärung, welche die ganze Nation bereits ausgesprochen hatte. Das Werk war vollbracht, die Whigs hatten die Oberhand. Leeds war nicht mehr erster Minister, ja überhaupt gar nicht mehr Minister. Wilhelm vermied, wahrscheinlich aus Achtung für das Andenken der geliebten Frau, die er vor kurzem verloren und der Leeds eine besondere Zuneigung bewiesen hatte, Alles was wie Härte aussehen konnte. Der gestürzte Staatsmann durfte noch eine beträchtliche Zeit lang den Titel Lordpräsident beibehalten und bei öffentlichen Gelegenheiten zwischen dem Großen Siegel und dem Geheimsiegel gehen. Aber man gab ihm zu verstehen, daß er wohl thun würde, nicht mehr im Ministerium zu erscheinen; die Geschäfte und das Patronat selbst desjenigen Departements, dessen nominelles Oberhaupt er war, gingen in andere Hände über, und der Posten, den er zum Scheine noch bekleidete, wurde in den politischen Kreisen als thatsächlich erledigt betrachtet.28

Er eilte in die Provinz und verbarg sich dort einige Monate vor den Augen der Oeffentlichkeit. Als jedoch das Parlament wieder zusammentrat, kam er aus seinem Versteck hervor. Obwohl er in weit vorgerückten Jahren stand und von Krankheit gequält wurde, war sein Ehrgeiz doch noch so glühend als je. Mit rastloser Energie begann er zum dritten Male zu klimmen, um, wie er sich schmeichelte, die schwindelnde Höhe wieder zu erreichen, auf der er schon zweimal gestanden hatte und von der er schon zweimal herabgestürzt war. Er nahm lebhaft Theil an der Debatte; aber wenn auch seine Beredtsamkeit und seine Kenntnisse ihm jederzeit die Aufmerksamkeit seiner Zuhörer sicherten, so wurde ihm doch nie wieder, selbst als die Torypartei am Ruder war, der kleinste Antheil an der Leitung der öffentlichen Angelegenheiten bewilligt.

Lords Justices ernannt

Eine große Demüthigung konnte ihm nicht erspart werden. Wilhelm stand auf dem Punkte, das Commando der Armee in den Niederlanden zu übernehmen, und bevor er absegelte, mußte er bestimmen, von wem die Regierung in seiner Abwesenheit verwaltet werden sollte. Bisher hatte Marie die Viceregentschaft geführt, wenn er außerhalb England’s war; aber sie war nicht mehr. Er übertrug daher seine Autorität sieben Lords Justices: Tenison, Erzbischof von Canterbury, Somers, Großsiegelbewahrer, Pembroke, Geheimsiegelbewahrer, Devonshire, Lord Obersthofmeister, Dorset, Lord Kammerherr, Shrewsbury, Staatssekretär, und Godolphin, erster Commissar des Schatzes. Es ist aus dieser Namenliste leicht zu ersehen, nach welcher Seite die Wagschale der Macht sich jetzt neigte. Unter den sieben war Godolphin der einzige Tory. Der Lordpräsident, unter den hohen Laienwürdenträgern des Reichs noch immer der Zweite im Range, war übergangen, und diese Auslassung wurde allgemein als eine officielle Ankündigung seiner Ungnade betrachtet.29

Aussöhnung zwischen Wilhelm und der Prinzessin Anna

Manche wunderten sich, daß die Prinzessin von Dänemark nicht zur Viceregentin ernannt wurde. Die Aussöhnung, welche begonnen hatte, als Marie im Sterben lag, war seit ihrem Tode, wenigstens dem äußeren Scheine nach, vollendet worden. Dies war eine von denjenigen Gelegenheiten, bei denen Sunderland sich besonders nützlich machen konnte. Er eignete sich vortrefflich dazu, eine persönliche Unterhandlung zu leiten, Groll zu mildern, verletzten Stolz zu beschwichtigen, von allen Gegenständen des irdischen Verlangens den zu wählen, von dem sich am ehesten erwarten ließ, daß er das Gemüth, mit dem er es zu thun hatte, anziehen werde. Bei dieser Gelegenheit war seine Aufgabe nicht schwer, denn er hatte zwei treffliche Stützen: Marlborough im Hofstaate Anna’s, und Somers im Cabinet Wilhelm’s.

Marlborough wünschte jetzt eben so sehr die Regierung zu unterstützen, wie er einst gewünscht hatte, sie zu stürzen. Mariens Tod hatte eine vollständige Umwandlung in allen seinen Plänen hervorgebracht. Es gab ein Ereigniß, dem er mit dem sehnlichsten Verlangen entgegensah: die Erhebung der Prinzessin auf den englischen Thron. Es war gewiß, daß er von dem Tage an, wo sie zu regieren begann, an ihrem Hofe alles das wurde, was Buckingham am Hofe Jakob’s I. gewesen war. Marlborough muß sich überdies noch ganz andere Talente zugetraut haben als sie Buckingham besaß: ein Genie für die Politik, nicht geringer als das Richelieu’s, ein Genie für den Krieg, nicht geringer als das Turenne’s. Vielleicht sah der entlassene General in seiner Dunkelheit und Unthätigkeit noch eine Zeit kommen, wo seine Macht, in Europa zu nützen und zu schaden, der der mächtigsten europäischen Fürsten gleich sein würde, wo der Kaiser auf der einen und Ludwig der Große auf der andren Seite ihm kriechend schmeicheln und den Hof machen und wo er jedes Jahr das größte Vermögen, das irgend ein englischer Unterthan jemals aufgehäuft hatte, um neue hunderttausend Pfund vermehren würde. Dies Alles konnte geschehen, wenn Mrs. Morley Königin wurde. Aber daß Mr. Freeman jemals Mrs. Morley als Königin sehen würde, war bis vor kurzem nicht sehr wahrscheinlich gewesen. Maria versprach viel länger zu leben als er und mindestens eben so lange als ihre Schwester. Daß Wilhelm Nachkommen erhalten würde, stand nicht zu erwarten. Dagegen erwartete man allgemein, daß er bald sterben würde. Seine Wittwe konnte sich wieder vermählen und Kinder hinterlassen, die ihr auf dem Throne folgen würden. Unter diesen Umständen konnte Marlborough mit Recht denken, daß er sehr wenig Interesse an der Aufrechthaltung der von der Convention festgestellten Thronfolgeordnung habe. Nichts versprach seinem Zwecke besser zu dienen, als Verwirrung und Bürgerkrieg, als eine neue Revolution, eine neue Abdankung, eine neue Erledigung des Thrones. Es war möglich, daß die Nation, gegen Wilhelm erbittert, und doch nicht mit Jakob ausgesöhnt, zwischen dem Hasse gegen Ausländer und dem Hasse gegen Jesuiten schwankend, dem holländischen sowohl als dem papistischen Könige eine Prinzessin vorzog, die zugleich eine Tochter unsres Landes und ein Mitglied unsrer Kirche war. Daß dies die wirkliche Erklärung von Marlborough’s dunklen und verwickelten Complotten war, davon waren, wie wir gesehen haben, einige von den eifrigsten Jakobiten fest überzeugt, und es ist auch in hohem Grade wahrscheinlich. Es ist ausgemacht, daß er seit mehreren Jahren keine Mühe gespart hatte, um die Armee und die Nation gegen die Regierung aufzubringen. Doch jetzt war Alles anders. Marie war nicht mehr. Durch die Rechtsbill war die Krone nach dem Tode Wilhelm’s Anna gesichert, und Wilhelm’s Tod konnte nicht mehr fern sein. In der That, alle Aerzte, die ihn behandelten, wunderten sich, daß er noch lebte, und wenn man zu den Gefahren der Krankheit die Gefahren des Kriegs rechnete, hatte es alle Wahrscheinlichkeit für sich, daß er in wenigen Monaten im Grabe liegen werde. Marlborough sah ein, daß es jetzt Wahnsinn sein würde, Alles in Verwirrung zu bringen und Alles auf’s Spiel zu setzen. Er hatte sein Möglichstes gethan, den Thron zu erschüttern, so lange es nicht wahrscheinlich war, daß Anna ihn je anders würde besteigen können, als durch gewaltsame Mittel. Aber er that sein Möglichstes, ihn zu befestigen, sobald es wahrscheinlich wurde, daß sie bald nach dem regelmäßigen Laufe der Natur und des Gesetzes berufen werden würde, ihn einzunehmen.

Die Prinzessin wurde durch die Churchill leicht bewogen, ein unterwürfiges und herzliches Beileidsschreiben an den König zu richten. Der König, welcher niemals sonderlich geneigt war, sich in einen Austausch unaufrichtiger Complimente einzulassen, und der noch von der ersten Heftigkeit seines Schmerzes zu Boden gedrückt wurde, schien wenig Lust zu haben, ihrem Entgegenkommen zu entsprechen. Somers aber, welcher erkannte, daß Alles auf dem Spiele stand, ging nach Kensington und verschaffte sich Zutritt in das königliche Cabinet. Wilhelm saß darin, so tief in schwermüthige Gedanken versunken, daß er den Eintritt eines Besuchs gar nicht zu bemerken schien. Nach einer ehrerbietigen Pause brach der Lord Siegelbewahrer das Schweigen und beschwor Se. Majestät, gewiß mit all’ der vorsichtigen Delikatesse, die ihm eigen war und die ihn so vorzüglich befähigte, wunde Stellen des Gemüths zu berühren, ohne sie zu verletzen, sich mit der Prinzessin zu versöhnen. „Thun Sie was Sie wollen,” sagte Wilhelm, „ich kann an keine Geschäftsangelegenheit denken.” Auf diese Ermächtigung hin schlossen die Vermittler eiligst einen Vertrag.30 Anna kam nach Kensington und wurde freundlich aufgenommen; sie erhielt eine Wohnung im St. Jamespalaste, bekam wieder eine Ehrenwache, und nach langer Unterbrechung zeigten die Nummern der Gazette wieder an, daß auswärtige Gesandte die Ehre gehabt hätten, ihr vorgestellt zu werden.31 Auch die Churchill durften wieder unter dem königlichen Dache wohnen. Aber Wilhelm schloß sie zuerst nicht in die Aussöhnung ein, die er mit ihrer Gebieterin angebahnt hatte. Marlborough blieb von militärischen und politischen Aemtern ausgeschlossen, und nicht ohne Schwierigkeit erlangte er Zutritt in dem königlichen Zirkel zu Kensington und Erlaubniß, dem Könige die Hand zu küssen.32 Das Gefühl, mit dem der König ihn betrachtete, erklärt es hinreichend, warum Anna nicht zur Regentin ernannt wurde. Die Regentschaft Anna’s würde die Regentschaft Marlborough’s gewesen sein, und es kann nicht Wunder nehmen, daß ein Mann, dem man kein Amt im Staate oder Heere zu übertragen für rathsam hielt, nicht mit der gesammten Verwaltung des Landes betraut wurde.

Wäre Marlborough stolzen und rachsüchtigen Charakters gewesen, so hätte er sich angereizt fühlen können, einen neuen Streit in der königlichen Familie zu entzünden und neue Cabalen in der Armee anzuzetteln; aber er hatte alle seine Leidenschaften, mit Ausnahme des Ehrgeizes und der Habsucht, streng in der Gewalt. Er kannte das Gefühl der Rache so wenig als das Gefühl der Dankbarkeit. Er hatte gegen die Regierung conspirirt, während sie ihn mit Gunstbezeigungen überhäufte. Jetzt unterstützte er sie, obgleich sie seine Unterstützung mit Schimpf vergalt. Er erkannte sein Interesse vollkommen, er beherrschte sein Temperament vollkommen, und so ertrug er mit Anstand die Unannehmlichkeiten seiner gegenwärtigen Lage und begnügte sich, den Eintritt eines Ereignisses zu erwarten, das ihn für einige Jahre der Geduld reichlich entschädigen konnte. Er hörte zwar nicht auf, mit dem Hofe von Saint-Germains zu correspondiren, aber die Correspondenz wurde nach und nach immer spärlicher und scheint seinerseits nur aus unbestimmten Versicherungen und leeren Entschuldigungen bestanden zu haben.

Das Ereigniß, das allen Aussichten Marlborough’s eine andre Gestalt gegeben, hatte die Gemüther heftigerer und starrsinnigerer Politiker mit hochfliegenden Hoffnungen und abscheulichen Plänen erfüllt.

Jakobitische Verschwörungen gegen Wilhelm’s Leben

Während der ersten dritthalb Jahre nach Grandval’s Hinrichtung war kein ernstlicher Anschlag gegen das Leben Wilhelm’s geschmiedet worden. Einige hitzköpfige Mißvergnügte hatten wohl Pläne zu seiner Entführung und Ermordung gemacht; aber diese Pläne waren, so lange seine Gemahlin lebte, von deren Vater nicht begünstigt worden. Jakob hegte keine Bedenken und war auch, diese Gerechtigkeit muß man ihm widerfahren lassen, kein solcher Heuchler, daß er Bedenken dagegen hätte vorgeben sollen, seine Feinde durch Mittel aus dem Wege zu räumen, die er mit Recht für gemein und schändlich gehalten hatte, als sie von seinen Feinden gegen ihn angewendet wurden. Und wenn ja ein solches Bedenken in ihm aufgestiegen wäre, so fehlte es unter seinem Dache nicht an Casuisten, welche den Willen und die Fähigkeit hatten, sein Gewissen durch Sophismen zu beschwichtigen, wie sie die viel edleren Naturen eines Anton Babington und eines Eberhard Digby verdorben hatten. Die Rechtmäßigkeit des Meuchelmords, in Fällen wo Meuchelmord die Interessen der Kirche fördern konnte, in Zweifel ziehen, hieß die Autorität der berühmtesten Jesuiten, Bellarmine’s und Suarez’, Molina’s und Mariana’s bestreiten, ja sich gegen den Stuhl St. Peter’s selbst auflehnen. Ein Papst war zu Ehren des heimtückischen Gemetzels, in welchem Coligny umgekommen war, an der Spitze seiner Cardinäle in einer Prozession einhergeschritten, hatte ein Jubiläum proklamirt und die Kanonen von St. Angelo abfeuern lassen. Ein andrer Papst hatte in einer feierlichen Allocution die Ermordung Heinrich’s III. von Frankreich in hinreißender, der Ode des Propheten Habakuk entlehnten Sprache besungen und den Mörder über Pinehas und Judith erhoben.33 Wilhelm wurde in Saint-Germains als ein Ungeheuer betrachtet, in Vergleich zu welchem Coligny und Heinrich III. Heilige waren. Gleichwohl weigerte sich Jakob einige Jahre lang, irgend ein Attentat gegen die Person seines Neffen zu sanctioniren. Die Gründe, die er für seine Weigerung anführte, sind so wie er sie eigenhändig niederschrieb, auf uns gekommen. Er heuchelte nicht den Glauben, daß Meuchelmord eine Sünde sei, die ein Christ verabscheuen müsse, oder eine Schurkerei, die eines Gentleman unwürdig sei, sondern er sagte bloß, daß die Schwierigkeiten groß seien und daß er seine Freunde nicht drängen wolle, sich einer großen Gefahr auszusetzen, da es nicht in seiner Macht stehe, sie wirksam zu unterstützen.34 So lange Marie lebte, war es allerdings sehr zweifelhaft, ob die Ermordung ihres Gemahls der jakobitischen Sache wirklich nützen werde. Durch seinen Tod hätte die Regierung die aus seinen eminenten persönlichen Eigenschaften hervorgehende Kraft verloren, wäre aber zugleich auch von der Last seiner persönlichen Unpopularität befreit worden. Seine ganze Macht wäre mit einemmal auf seine Wittwe übergegangen, und die Nation würde sich wahrscheinlich mit Begeisterung um sie geschaart haben. Waren ihre politischen Fähigkeiten auch den seinigen nicht gleich, so besaß sie dagegen nicht sein abstoßendes Wesen, seinen fremden Accent und seine Parteilichkeit für alles Holländische und alles Calvinistische. Viele, die sie eines strafwürdigen Mangels an kindlicher Pietät beschuldigten, würden der Meinung gewesen sein, daß sie jetzt gewiß aller Pflichten gegen einen Vater entbunden sei, der sich mit dem Blute ihres Gatten befleckt habe. Die ganze Regierungsmaschine wäre ohne die Unterbrechung, welche gewöhnlich auf die Niederlegung der Krone folgte, in regelmäßigem Gange geblieben. Es hätte keine Auflösung des Parlaments, keine Suspension der Zölle und Accisen stattgefunden; alle Ernennungen hätten ihre Gültigkeit behalten, und Jakob hätte durch den Sturz seines Feindes nichts gewonnen als eine unfruchtbare Rache.

Der Tod der Königin änderte Alles. Wenn jetzt ein Dolch oder eine Kugel Wilhelm’s Herz traf, so war es wahrscheinlich, daß sofort allgemeine Anarchie eintrat. Das Parlament und der Geheimrath hörten auf zu existiren. Die Autorität der Minister und Richter erlosch mit Dem, von dem sie ausging. Es war nicht unwahrscheinlich, daß in einem solchen Augenblicke sich ohne Schwertstreich eine Restauration bewerkstelligen lassen würde.

Charnock

Marie war daher kaum in die Gruft gesenkt, so begannen unruhige und gewissenlose Menschen ernstlich gegen das Leben Wilhelm’s zu conspiriren. Unter diesen Männern stand Charnock in Talenten, Muth und Energie obenan. Er hatte eine liberale Erziehung genossen und war unter der vorigen Regierung Fellow des Magdalenencollegiums zu Oxford gewesen. Er allein in dieser großen Gesellschaft hatte das gemeinsame Interesse verrathen, hatte sich zum Werkzeuge der Hohen Commission hergegeben, war öffentlich von der englischen Kirche abgefallen, und hatte zu der Zeit, wo sein Collegium ein papistisches Seminar war, das Amt des Vicepräsidenten bekleidet. Die Revolution kam und gab dem ganzen Laufe seines Lebens sofort eine andre Richtung. Aus dem stillen Kreuzgange und dem alten Eichenhaine am Ufer des Cherwell vertrieben, besuchte er Orte ganz andrer Art. Mehrere Jahre führte er das gefahrvolle und bewegte Leben eines Verschwörers, reiste mit geheimen Aufträgen zwischen England und Frankreich hin und her, wechselte öfters seine Wohnung in London und war in verschiedenen Kaffeehäusern unter verschiedenen Namen bekannt. Seine Dienste waren mit einem von dem verbannten Könige unterzeichneten Hauptmannspatent belohnt worden.

Porter

Mit Charnock eng verbunden war Georg Porter, ein Abenteurer, der sich einen Katholiken und Royalisten nannte, der aber in Wirklichkeit jeder Religion und jedes politischen Grundsatzes ermangelte. Selbst seine Freunde konnten nicht leugnen, daß er ein Wüstling und ein Narr war, daß er trank und fluchte, daß er extravagante Lügen über seine angeblichen Liebschaften erzählte und daß er wegen eines Dolchstichs, den er bei einer Rauferei im Theater Jemanden versetzt hatte, des Todtschlags schuldig befunden worden war. Seine Feinde behaupteten, daß er ekelhaften und abscheulichen Arten der Ausschweifung ergeben sei, daß er sich die Mittel, seinen schändlichen Neigungen zu fröhnen, durch Betrug und Diebstahl verschaffe, daß er einer Bande von Geldbeschneidern angehöre, daß er sich zuweilen spät Abends verkleidet zu Pferde fortstehle und daß, wenn er von diesen geheimnißvollen Ausflügen zurückkehre, sein Aussehen den Verdacht rechtfertige, daß er in Hounslow Heath oder Finchley Common Geschäfte gemacht habe.35

Goodman

Cardell Goodman, im Volksmunde Scum (Auswurf) Goodman genannt, ein wo möglich noch verworfenerer Schurke als Porter, war ebenfalls in dem Complot. Goodman war Schauspieler gewesen, war, gleich einigen viel bedeutenderen Männern, von der Herzogin von Cleveland unterhalten, in ihr Haus aufgenommen, von ihr mit Geschenken überhäuft worden und hatte ihre Güte damit vergolten, daß er zwei ihrer Kinder durch einen italienischen Quacksalber vergiften lassen wollte. Da das Gift nicht beigebracht worden war, konnte Goodman nur wegen eines Vergehens zur Untersuchung gezogen werden. Er wurde prozessirt, schuldig befunden und zu einer schweren Geldstrafe verurtheilt. Seitdem hatte er sich als einer der ersten Banknotenfälscher einen Namen gemacht.36

Parkyns

Sir Wilhelm Parkyns, ein reicher, zur juristischen Laufbahn erzogener Ritter, der sich in den Tagen der Ausschließungsbill unter den Tories ausgezeichnet hatte, war eines der bedeutendsten Mitglieder des Bundes. Er genoß eines viel besseren Rufes als die meisten seiner Complicen; in einer Beziehung aber war er strafbarer als alle anderen. Denn um ein einträgliches Amt zu behalten, das er beim Kanzleigericht bekleidete, hatte er dem Fürsten, gegen dessen Leben er jetzt conspirirte, den Eid der Treue geleistet.

Fenwick

Der Anschlag wurde Sir John Fenwick mitgetheilt, der wegen der feigen Beleidigung, die er der verstorbenen Königin zugefügt hatte, berühmt war. Wenn man Fenwick’s eigner Versicherung glauben darf, war er wohl geneigt, an einem Aufstande Theil zu nehmen, erschrak aber vor dem Gedanken des Meuchelmordes und ließ sich seine Gesinnung so deutlich merken, daß er seinen minder skrupulösen Genossen verdächtig wurde. Er bewahrte jedoch ihr Geheimniß so streng, als ob er ihnen guten Erfolg gewünscht hätte.

Es scheint als hätte anfangs ein natürliches Gefühl die Verschwörer abgehalten, ihren Anschlag beim rechten Namen zu nennen. Selbst bei ihren geheimen Berathungen sprachen sie vor der Hand noch nicht davon, den Prinzen von Oranien zu ermorden. Sie wollten versuchen, sich seiner zu bemächtigen und ihn lebend nach Frankreich zu bringen. Stießen sie auf Widerstand, so würden sie sich vielleicht genöthigt sehen, von ihren Degen und Pistolen Gebrauch zu machen, und Niemand könne dann für die Folgen eines Hiebes oder Schusses stehen. Im Frühjahr 1695 wurde der nur noch dünn verschleierte Mordplan Jakob mitgetheilt und dringend seine Sanction erbeten. Aber Woche auf Woche verging und es kam keine Antwort von ihm. Er schwieg wahrscheinlich in der Hoffnung, daß seine Anhänger binnen Kurzem es wagen würden, auf eigne Verantwortung zu handeln, und daß er so den Vortheil ihres Verbrechens, ohne die Schande desselben haben werde. So scheinen sie ihn in der That verstanden zu haben. Er habe, sagten sie, das Attentat nicht sanctionirt, aber er habe es auch nicht verboten, und da er von ihrem Vorhaben Kenntniß gehabt habe, so sei das Ausbleiben seines Verbots eine genügende Ermächtigung. Sie beschlossen daher ans Werk zu gehen; aber bevor sie die nöthigen Anstalten dazu treffen konnten, reiste Wilhelm nach Flandern ab, und der Anschlag gegen sein Leben mußte nothwendig bis zu seiner Zurückkunft verschoben werden.

Session des schottischen Parlaments

Es war am 12. Mai, als der König von Kensington nach Gravesend abging, wo er sich nach dem Continent einzuschiffen gedachte. Drei Tage vor seiner Abreise war das schottische Parlament nach einer Pause von ungefähr zwei Jahren wieder in Edinburg zusammengetreten. Hamilton, der in der vorhergehenden Session den Thron eingenommen und das Scepter gehalten hatte, war gestorben, und man mußte sich daher nach einem neuen Lord Obercommissar umsehen. Der Mann, auf den die Wahl fiel, war Johann Hay, Marquis von Tweedale, Kanzler des Reichs, ein in den Staatsgeschäften ergrauter Edelmann, wohl unterrichtet, besonnen, human, tadellos in seinem Privatleben und im Ganzen genommen so achtungswerth als irgend ein schottischer Lord, der lange und tief bei der Politik jener unruhigen Zeiten betheiligt gewesen war.

Untersuchung des Gemetzels von Glencoe

Seine Aufgabe war nicht frei von Schwierigkeiten. Es war zwar wohl bekannt, daß die Stände im Allgemeinen geneigt waren, die Regierung zu unterstützen, aber ebenso wohl bekannt war es, daß ein gewisser Gegenstand die geschickteste und delikateste Behandlung erforderte. Der Schrei des vor länger als drei Jahren in Glencoe vergossenen Blutes war endlich gehört worden. Gegen Ende des Jahres 1693 begann man allgemein die Gerüchte, welche anfangs als factiöse Verleumdungen geringschätzend verlacht worden waren, ernster Beachtung werth zu halten. Viele, die sonst nicht so leicht etwas glaubten, was aus den geheimen Pressen der Jakobiten hervorging, gestanden, daß zur Ehre der Regierung eine Untersuchung angeordnet werden müsse. Die liebenswürdige Marie war über das, was sie gehört, heftig entrüstet gewesen. Auf ihre Anregung hatte Wilhelm den Herzog von Hamilton und mehrere andere angesehene Schotten ermächtigt, die ganze Sache zu untersuchen. Aber der Herzog starb, seine Collegen waren in Erfüllung ihrer Pflicht saumselig, und der König, der von Schottland wenig wußte und sich wenig darum kümmerte, vergaß sie zu erinnern.37

Es zeigte sich jetzt, daß die Regierung eben so klug als recht gehandelt haben würde, wenn sie den Wünschen des Landes zuvorgekommen wäre. Die entsetzliche Geschichte, welche die Eidverweigerer beharrlich, zuversichtlich und mit so vielen Nebenumständen wiederholten, daß man fast gezwungen war, sie zu glauben, hatte endlich ganz Schottland aufgeregt. Die Empfindlichkeit eines vorzüglich patriotischen Volks war durch die Spötteleien der südlichen Pamphletisten gereizt worden, welche fragten, ob es denn nördlich vom Tweed kein Gesetz, keine Gerechtigkeit, keine Menschlichkeit, keinen Muth gebe, der selbst für die empörendsten Unbilden Genugthuung verlangte. Jede der beiden extremen Parteien welche einander in der allgemeinen Politik direct entgegengesetzt waren, wurden durch ein eigenes Gefühl angetrieben, eine Untersuchung zu verlangen. Die Jakobiten waren entzückt über die Aussicht, einen Fall nachweisen zu können, der dem Usurpator zur Unehre gereichen mußte und der den vielen Verbrechen gegenübergestellt werden konnte, welche die Whigs Cleverhouse und Mackenzie zur Last legten. Die eifrigen Presbyterianer freuten sich nicht minder über die Aussicht, den Master von Stair stürzen zu können. Sie hatten den Dienst, den er zu den Zeiten der Verfolgung dem Hause Stuart geleistet, weder vergessen, noch verziehen. Sie wußten, daß er zwar an der politischen Revolution, die sie von der verhaßten Dynastie befreit, aufrichtig Theil genommen, doch aber die kirchliche Revolution, welche in ihren Augen noch wichtiger war, mit Mißfallen betrachtet hatte. Sie wußten, daß das Kirchenregiment für ihn lediglich eine Staatsangelegenheit war und daß er in Folge dieser Anschauungsweise die bischöfliche Form der synodalen vorzog. Sie konnten nicht ohne Besorgniß einen so schlauen und beredten Feind der reinen Religion, den König auf jedem Schritt begleiten und ihm beständig Rathschläge zuflüstern sehen. Sie wünschten daher sehnlichst eine Untersuchung, die, wenn auch nur die Hälfte von dem was man sich gerüchtweise erzählte wahr war, Dinge an den Tag bringen mußte, welche der Macht und dem Rufe des Ministers, dem sie mißtrauten, voraussichtlich zum Verderben gereichten. Auch konnte sich dieser Minister nicht auf den aufrichtigen Beistand aller Beamten der Krone verlassen. Sein Genie und sein Einfluß hatten den Neid vieler minder glücklichen Höflinge, insbesondere seines Mitsekretärs Johnstone erweckt.

So war am Vorabende des Zusammentritts des schottischen Parlaments Glencoe im Munde aller Schotten jeder Partei und jeder Glaubensrichtung. Wilhelm, der eben im Begriff war, nach dem Kontinent abzureisen, sah ein, daß er in diesem Punkte den Ständen ihren Willen lassen mußte und daß er nichts Besseres thun konnte als sich selbst an die Spitze einer Bewegung zu stellen, der er unmöglich zu widerstehen vermochte. Eine Vollmacht, welche Tweedale und mehrere andere Geheimräthe autorisirte, den Gegenstand, der das Volk in so große Aufregung versetzt, genau zu untersuchen, wurde in Kensington vom Könige unterzeichnet, nach Edinburg gesandt und dort mit dem großen Siegel des Reichs versehen. Dies geschah gerade noch zur rechten Zeit.38 Das Parlament hatte seine Geschäfte kaum begonnen, als ein Mitglied sich erhob, um auf eine Untersuchung der Umstände des Gemetzels von Glencoe anzutragen. Tweedale konnte nun den Ständen anzeigen, daß die Güte Sr. Majestät ihren Wünschen zuvorgekommen, daß wenige Stunden zuvor eine Untersuchungsvollmacht in allen Formen ausgefertigt worden sei und daß die in diesem Dokumente bezeichneten Lords und Gentlemen noch vor dem Abend ihre erste Zusammenkunft halten würden.39

Das Parlament votirte dem Könige für diesen Beweis väterlicher Fürsorge einstimmig seinen Dank; aber Einige von Denen, welche dem Dankvotum beitraten, äußerten die sehr natürliche Besorgniß, daß die zweite Untersuchung eben so unbefriedigend enden möchte, als die erste geendigt hatte. Die Ehre des Landes, sagten sie, sei im Spiele, und die Commissare seien verpflichtet, mit solcher Beschleunigung zu Werke zu gehen, daß das Ergebniß der Untersuchung vor dem Schlusse der Session bekannt würde. Tweedale gab Zusicherungen, welche die Murrenden auf einige Zeit zum Schweigen brachten40. Als aber drei Wochen vergangen waren, wurden viele Mitglieder aufsätzig und mißtrauisch. Am 14. Juni wurde beantragt, daß die Commissare angewiesen werden sollten, ihren Bericht zu erstatten. Der Antrag ging nicht durch, wurde aber jeden Tag wiederholt. In drei aufeinanderfolgenden Sitzungen gelang es Tweedale, das Drängen der Versammlung zu zügeln. Als er aber endlich anzeigte, daß der Bericht vollendet sei, und hinzusetzte, daß er den Ständen nicht eher vorgelegt werden könne, als bis er dem Könige unterbreitet worden sei, brach ein heftiges Geschrei aus. Die Neugierde des Publikums war aufs Höchste gespannt, denn die Untersuchung hatte bei verschlossenen Thüren stattgefunden, und die Commissare sowohl wie die Schriftführer waren eidlich zur Geheimhaltung verpflichtet worden. Der König war in den Niederlanden. Wochen mußten vergehen, bevor seine Willensmeinung eingeholt werden konnte, und die Session konnte nicht viel länger mehr dauern. Bei einer vierten Debatte äußerten sich Anzeichen, die es dem Lord Obercommissar rathsam erscheinen ließen, nachzugeben, und der Bericht wurde vorgelegt.41

Es ist eine Arbeit, welche Denen, die sie entwarfen, viel Ehre macht, eine vortreffliche Zusammenstellung der Thatsachen, klar, leidenschaftslos und durchaus gerecht. Keine Quelle, aus der man werthvolle Aufschlüsse zu schöpfen hoffen konnte, war unbeachtet gelassen worden. Glengarry und Keppoch, obgleich notorisch der Regierung abgeneigt, hatten die Erlaubniß erhalten, die Sache ihrer unglücklichen Stammesgenossen zu führen. Mehrere von den Macdonalds, welche dem Gemetzel jener Nacht entgingen, waren vernommen worden, unter ihnen der regierende Mac Jan, der älteste Sohn des ermordeten Häuptlings. Die Correspondenz des Masters von Stair mit den Militärs, welche in den Hochlanden Commandos bekleideten, war einer strengen, aber nicht parteiischen Prüfung unterworfen worden. Das Endresultat, zu welchem die Commissare kamen und worin jeder einsichtsvolle und unbefangene Beurtheiler ihnen beipflichten muß, war, daß das Gemetzel von Glencoe ein barbarischer Mord gewesen und daß die Briefe des Masters von Stair die alleinige Anregung dazu gegeben hatten.

Daß Breadalbane Theil an dem Verbrechen gehabt, wurde nicht erwiesen; aber ganz rein ging er nicht aus der Untersuchung hervor. Man hatte im Laufe derselben zufällig entdeckt, daß, als er Wilhelm’s Geld unter die hochländischen Häuptlinge vertheilt, er gegen sie den wärmsten Eifer für die Interessen Jakob’s an den Tag gelegt und ihnen gerathen hatte, von dem Usurpator zu nehmen, was sie erlangen könnten, aber beständig nach einer günstigen Gelegenheit zur Zurückführung des rechtmäßigen Königs auszuspähen. Breadalbane’s Vertheidigung bestand darin, daß er ein größerer Schurke war als seine Ankläger dachten und daß er sich nur deshalb für einen Jakobiten ausgegeben hatte, um den jakobitischen Plänen auf den Grund zu kommen. Die Tiefen der Schändlichkeit dieses Mannes waren in der That unergründlich. Man konnte unmöglich sagen, welche von seinen Verräthereien, um die italienische Classification anzuwenden, einfache Verräthereien und welche doppelte Verräthereien waren. In dem vorliegenden Falle nahm das Parlament an, daß er sich nur einer einfachen Verrätherei schuldig gemacht habe, und schickte ihn in das Staatsgefängniß zu Edinburg. Die Regierung aber schenkte nach reiflicher Erwägung seiner Versicherung, daß er sich einer doppelten Verrätherei schuldig gemacht habe, Glauben und setzte ihn wieder in Freiheit.42

Der Bericht der Commission wurde von den Ständen sofort in Berathung genommen. Sie resolvirten ohne eine einzige abweichende Stimme, daß der von Wilhelm unterzeichnete Befehl das Gemetzel von Glencoe nicht autorisirt habe. Sodann resolvirten sie, aber wie es scheint nicht einstimmig, daß das Gemetzel ein Mord sei.43 Hierauf nahmen sie noch mehrere Beschlüsse an, deren Inhalt schließlich in eine Adresse an den König zusammengefaßt wurde. Wie der auf den Master von Stair bezügliche Theil der Adresse lauten sollte, war eine Frage, über welche viel debattirt wurde. Es wurden mehrere von seinen Briefen verlangt und vorgelesen und mehrere Amendements zu dem Votum beantragt. Die Jakobiten und die extremen Presbyterianer scheinen, und dies mit nur zu gutem Grunde, für Strenge gewesen zu sein. Die Majorität acceptirte unter der geschickten Leitung des Lord Obercommissars Worte, die es dem schuldigen Minister unmöglich machten, sein Amt zu behalten, die ihn aber nicht für so strafbar erklärten, daß sein Leben oder sein Vermögen bedroht gewesen wäre. Sie tadelten ihn, aber sie tadelten ihn in viel zu milden Ausdrücken. Sie tadelten seinen maßlosen Eifer gegen den unglücklichen Clan und seine eindringlichen Befehle, die Schlächterei unverhofft vorzunehmen. Die übermäßige Heftigkeit in seinen Briefen erklärten sie für die Grundursache des Gemetzels, aber anstatt zu verlangen, daß er als Mörder vor Gericht gestellt werde, erklärten sie, daß sie es in Anbetracht seiner Abwesenheit und seiner hohen Stellung der Weisheit des Königs anheim gäben, so mit ihm zu verfahren, daß die Ehre der Regierung gewahrt werde.

Die dem Hauptverbrecher bewiesene Nachsicht erstreckte sich nicht auf seine Untergebenen. Hamilton, der geflüchtet und durch Proklamationen am Stadtkreuze vergebens aufgefordert worden war, vor den Ständen zu erscheinen, wurde für nicht rein von dem Blute der Glencoeleute erklärt. Glenlyon, Hauptmann Drummond, Leutnant Lindsey, Fähnrich Lundie und Sergeant Barbour wurden noch bestimmter als Mörder bezeichnet und der König ersucht, dem Lordadvokaten ihre Prozessirung anzubefehlen.

Das schottische Parlament war bei dieser Gelegenheit unzweifelhaft am unrechten Orte streng und am unrechten Orte nachsichtig. Die Grausamkeit und Schändlichkeit Glenlyon’s und seiner Kameraden erregen noch heute, nach Verlauf von hundertsechzig Jahren, eine Entrüstung, die es schwer macht, unbefangen zu urtheilen. Wer es jedoch über sich gewinnen kann, das Verfahren dieser Leute mit richterlicher Unparteilichkeit zu betrachten, wird wahrscheinlich der Ansicht sein, daß sie nicht ohne großen Nachtheil für das Gemeinwohl als Mörder hätten behandelt werden können. Sie hatten Niemanden getödtet, dessen Tödtung ihnen nicht von ihrem commandirenden Offizier auf das Bestimmteste anbefohlen war. Es würde mit der Subordination, ohne die eine Armee der schlimmste Pöbelhaufen ist, vorbei sein, wenn jeder Soldat für die Gerechtigkeit jedes Befehls, in dessen Befolgung er sein Gewehr abfeuert, verantwortlich sein sollte. Der Fall in Glencoe war allerdings ein extremer Fall; aber im Prinzip dürfte er schwer von Fällen zu unterscheiden sein, wie sie im Kriege ganz gewöhnlich sind. Grausame militärische Executionen sind zuweilen unerläßlich; die Humanität selbst kann sie gebieten. Wer hat zu entscheiden, ob ein Fall vorliegt, der Strenge zur wahren Barmherzigkeit macht? Wer hat zu bestimmen, ob es nothwendig ist oder nicht, eine blühende Stadt in Asche zu legen, eine zahlreiche Schaar von Meuterern zu decimiren, eine ganze Räuberbande zu erschießen? Lastet die Verantwortlichkeit auf dem commandirenden Offizier oder auf dem Gliede, dem er befiehlt, sich fertig zu machen, anzulegen und Feuer zu geben? Und wenn es die allgemeine Regel ist, daß die Verantwortlichkeit auf dem commandirenden Offizier und nicht auf Denen lastet, die ihm gehorchen, läßt sich dann ein Grund dafür angeben, den Fall von Glencoe für eine Ausnahme von dieser Regel zu erklären? Es ist bemerkenswerth, daß kein Mitglied des schottischen Parlaments darauf antrug, einen der Gemeinen von Argyle’s Regiment wegen Mordes in Anklagestand zu versetzen. Jedem unter dem Range des Sergeanten Stehenden wurde völlige Straflosigkeit gewährt. Doch nach welchem Prinzip? Wenn der militärische Gehorsam keine haltbare Entschuldigung war, so war gewiß jeder Mann, der in jener fürchterlichen Nacht einen Macdonald erschoß, ein Mörder. Und wenn der militärische Gehorsam ein haltbarer Entschuldigungsgrund für den Musketier war, der auf Befehl des Sergeanten Barbour handelte, warum dann nicht auch für Barbour, der auf Befehl Glenlyon’s handelte? Und warum nicht auch für Glenlyon, der auf Befehl Hamilton’s handelte? Es kann wohl schwerlich behauptet werden, daß der Gemeine seinem Unteroffizier mehr Gehorsam schulde als der Unteroffizier seinem Hauptmanne oder der Hauptmann seinem Obersten.

Man kann behaupten, die Glenlyon ertheilten Befehle seien so absonderlicher Art gewesen, daß, wenn er ein tugendhafter Mensch gewesen wäre, er eher seine Stellung in die Schanze geschlagen, sich dem Mißfallen des Obersten, des Generals und des Staatssekretärs ausgesetzt und die schwerste Strafe, die ein Kriegsgericht über ihn verhängen konnte, auf sich genommen, als die ihm gegebene Ordre vollzogen haben würde, und dies ist vollkommen wahr; aber es handelt sich nicht darum, ob er als tugendhafter Mensch verfuhr, sondern ob er etwas that, weswegen er, ohne eine für die militärische Disciplin und für die Sicherheit der Nationen wesentliche Regel zu verletzen, als Mörder gehängt werden konnte. In jenem Falle war Ungehorsam sicherlich eine moralische Pflicht, aber es folgt daraus noch nicht, daß Gehorsam ein legales Verbrechen war.