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Das Mormonenmädchen Erster Band

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Balduin Möllhausen
Das Mormonenmädchen

Erster Band

Einleitung

Zum bessern Verständniß nachfolgender Blätter, namentlich aber, um nicht gezwungen zu sein, den Faden der Erzählung durch Erläuterungen zu unterbrechen, und zwar Erläuterungen, die an manchen Stellen ungeeignet erscheinen dürften und sich daher nur auf bloße Andeutungen beschränken müßten, ist es vielleicht angemessen, einige Worte über das Mormonenthum und dessen Geschichte vorauszuschicken. —

Die Mormonen1, die in neuerer Zeit die Aufmerksamkeit der ganzen civilisirten Welt in so hohem Grade auf sich gezogen haben, bilden eine Religionssecte, deren eigenthümliche Einrichtungen gewiß einer besondern Erwähnung und Beschreibung verdienen.

Ihre Hauptstadt und Hauptansiedelungen befinden sich im Thale des großen Salzsees. Dieser liegt in der Mitte zwischen den Ländern des Mississippi und Kalifornien, also westlich von den Staaten, wo die Menschen durch Geschäftssinn und Betriebsamkeit das erreichen, was westlich auf gierige Weise dem goldhaltigen Boden entnommen wird.

Die Thäler an und um den großen Salzsee sind ganz abgesondert von bewohnbaren Landstrichen. Gegen Norden und Süden erstrecken sich unabsehbare wüste Regionen; gegen Osten dehnt sich, wie eine lange Scheidewand, die Kette der Felsengebirge aus, während im Westen Sandsteppen mit starren Gebirgszügen abwechseln und einen schwer zugänglichen Damm bilden.

Das Land der Mormonen wird auch das große Becken (great basin) genannt, weil aus dieser Region das Wasser nicht abfließt. Dieses Becken ist das Hochland (4000 Fuß über dem Meeresspiegel, zwischen der Sierra Nevada westlich, und dem Wahsatch-Gebirge östlich. Es besteht eigentlich aus einer Wüste mit einigen fruchtbaren Streifen unter den Abhängen der Höhen und an den Flüssen. Größtentheils ist das Gebiet gebirgig, indem Bergketten von 2-3000 Fuß Höhe, meist den Rocky Mountains parallel laufend, dasselbe durchschneiden; in dem östlichen Theile des nach jeder Richtung etwa 500 englische Meilen breiten Landes haben sich die Mormonen angesiedelt.

Man kann nicht behaupten, daß die Mormonen in ihren jetzigen Territorien sehr von der Natur begünstigt wären, indem verhältnißmäßig nur spärlich gutes Wasser dort vorhanden ist, das Holz, wenigstens in der nächsten Nachbarschaft, fast ganz mangelt, und gute Weiden nur an den Gebirgsabhängen und in den Niederungen zu finden sind. Dagegen erweisen sich die culturfähigen Thäler an den Flüssen sehr fruchtbar, und es ist kaum anzunehmen, daß fürʼs Erste das Land mit so vielen Bewohnern bevölkert werden wird, wie es zu ernähren vermag.

Der Glaube dieser Secte nun, die mit so ungeheuern Anstrengungen und Opfern darauf hinarbeitet, ihre Religion über den ganzen Erdball zu verbreiten, ist begründet auf der unerschütterlichen Ueberzeugung, daß alle christlichen Secten oder Gentiles2, wie sie dieselben nennen, auf Wegen wandeln, die nicht zum Himmelreich führen, und daß die ewige Seligkeit nur den Anhängern der »Melchisedek-Priesterschaft« zu Theil werden könne.

Diese wurde, gemäß der Versicherung der Mormonen, vor achtzehnhundert Jahren von der Erde entfernt, seit welcher Zeit keine wirklich wahre Religion existirt hat, bis im Jahre 1826 Joseph Smith, dem Gründer des Mormonenthums, ein Engel erschien, und ihn in der Wahrheit unterrichtete. Derselbe führte ihn an eine Stelle, wo eine steinerne Kiste vergraben lag. In dieser befanden sich goldene Tafeln, aus welchen, in der von ihm so benannten reformirten ägyptischen Sprache, Gesetze geschrieben standen. Der Engel nahm eine Anzahl der religiösen Anweisungen aus der Kiste und übergab sie Joseph Smith, ertheilte ihm aber auch zugleich die Kraft, das, was auf den Tafeln eingegraben war, zu lesen und zu verstehen. Joseph Smith übersetzte nun die wunderbare Schrift und veröffentlichte sie unter dem Namen »Das Buch Mormon«. Er wurde dann auf göttlichem Wege der Melchisedek-Priesterschaft einverleibt, und erhielt die Fähigkeit, alle Sprachen zu verstehen. Er und seine Gefährten wurden eben so als Apostel eingesetzt, um das Evangelium zu, predigen und die »Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage« (the letter-day saints) unter den Völkern zu gründen. Im Jahre 1830 wurde diese Kirche zuerst organisirt, indem sechs Mitglieder zusammentraten, deren Schüler und Nachfolger in kurzer Zeit zu einer Gesellschaft von vielen Tausenden anwuchsen.

Die Mormonen erklären, daß die Bibel der Protestanten göttlichen Ursprungs sei, doch versichern sie zugleich, es sei so viel in derselben verändert und verdorben worden, daß eine neue Uebersetzung nöthig gewesen, welche ihr Prophet ausführte. Von dem Buch Mormon glauben sie ebenfalls, es komme von Gott und sei ebenso, wie die heilige Schrift, maßgebend für das Bekenntniß. Sie glauben streng an Wunder, und daß die Aeltesten der Kirche Kranke durch Auflegen der Hände zu heilen im Stande seien. Die Art ihres Gottesdienstes ist ähnlich dem der Protestanten, indem gepredigt und gesungen wird. Musik begleitet die Lieder der Sänger und spielt zu Anfang und zum Schluß des Gottesdienstes.

Die häuslichen Einrichtungen der Mormonen sind unendlich weit verschieden von denen jeder andern christlichen Secte, was vorzugsweise in dem System der »geistigen Ehe« (spiritual wife system) seine Erklärung findet.