Читать онлайн
Die Mühle zu Husterloh

Нет отзывов
Adam Karrillon
Die Mühle zu Husterloh

1. Kapitel

Hans Höhrle war in der Tat ein richtiges »Röhrle«. Denkt ihr, es wäre ihm eingefallen, auf die Welt zu kommen, als seine guten Eltern ihn mit Fug und Recht erwarten konnten? Kein Gedanke daran. Er schickte seine Schwester Suse voraus in den Kampf ums Dasein. Er selber blieb in der Reserve. Mochte Suse einstweilen wachsen und groß werden, damit sie ihn warten und pflegen könne, wenn es ihm gefällig wäre, sich in die Welt hineinzubemühen. Es verstrichen einige Jahre, ohne dass Hans Höhrle auch nur das Geringste tat, um sich eine Existenz zu gründen. Schon in seiner Keimzelle lag ein bedauerlicher Beharrungstrieb. So überholte ihn auch seine Schwester Liese, und beide Mädchen waren schon ziemlich erwachsen, als der lang Erwartete endlich kam. Man badete ihn, was er geduldig hinnahm, setzte ihm eine feine Spitzenhaube mit rosa Schleifchen auf und legte ihn in einer blitzblanken Wiege unter eine Federwolke, die von rot und weiß gewürfeltem Barchent zusammengehalten war. Hans hielt die Augen geschlossen und schlief sorglos weiter, als ob mit ihm gar kein Ortswechsel vorgegangen wäre und als ob er nicht die Verpflichtung hätte, seine neue Umgebung mit einem herablassenden Lächeln zu begrüßen. Sein Atem ging ruhig, nur zuweilen trat eine kleine weiße Blase zwischen seine Lippen und ruhte da auf rosigem Grunde wie eine Perle in der Muschel. Die ganze Familie war um das Bettchen versammelt, zwei zur Rechten, zwei zur Linken, Hans Höhrle in der Mitte.

Er war ein goldiger Junge, das fühlten alle, aber Suschen fand zuerst die Sprache. »Er ist zum Anbeißen,« sagte sie. Erschrocken fuhr Lieschen zusammen und beugte sich mit ihrem Oberkörper über den Schläfer, als ob sie ihn gegen das menschenfresserische Gelüste ihrer Schwester schützen müsse.

Der Vater Höhrle hatte sich endlich satt gesehen. Er drehte sich um, aber seine Gedanken weilten doch bei dem Kinde. Seine Blicke schweiften durch das Fenster. Vor dem Hause schäumte von den Mühlenrädern nieder sein bester Knecht, der forellenreiche Olfenbach. An dessen Ufern hin streckte sich die Nährmutter seines Viehes, die saftgrüne Wiese. Drüben auf dem ansteigenden Pfade, der sich in den Tannenwald verkroch, ging bedächtig ein Trupp schwerbeladener Esel, die das Mehl nach den Bauernhöfen trugen und das Korn wieder nach der Mühle zurückbrachten. Lustig und taktfest klapperten die Stühle, und wenn der Korntrichter leer war, so schellten sie den Mahlknecht herbei, als ob sie nun einmal ohne Arbeit nicht leben könnten. Allerlei Reichtum war in der Mühle, nur Pferde gab es nicht. »Pferdverrecken das sind Schrecken« war ein Sprichwort, nach dem der Bauer in damaliger Zeit seinen Betrieb einrichtete, und schließlich hatte man ja die Kraft der bedächtigen Ochsen, um ganze Berge von Erntesegen heimzufahren, wenn auch langsam.

Wie war das Glück des Hauses Höhrle so wohlgefügt, so reich, auf so breiter Basis, als ob es die Jahrhunderte überdauern sollte. Speicher und Keller des weit ausladenden Hauses waren wohlgefüllt. Auf Stunden im Umkreis war kein Hof, der sich mit der Mühle von Husterloh messen konnte. Alle Tage überschaute der Müller sein Glück, heute aber fühlte er es, heute, wo der Erbe geboren war seines Namens und seiner Habe. Er wusste jetzt, für wen die Kühe kalbten, für wen der Tannenwald die hellgrünen zarten Sprösslinge trieb. Auf ein weiteres Menschenleben hinaus sah er den Bestand der Dinge gesichert. Ihm war so warm ums Herz, und so schweigsam und verschlossen er sonst auch war, heute musste er reden. Er schickte die beiden rosenschönen Töchter an irgendeine Arbeit, klopfte sich mit der Hand den Mehlstaub aus den Hosen und setzte sich vorsichtig auf den Rand des breiten Bettes, in dem die Wöchnerin lag. Er war nicht mehr ganz jung. Seine glatt rasierten Backen hingen schon wie müde Flügel eines Zugvogels nieder, und wenn er sprach, so tanzte ein langer Zahn verwegen zwischen seinen Lippen. Er hatte ein demütiges subalternes Gesicht und stach ab gegen die energievolle Erscheinung seiner Frau, deren runde Formen die Bettdecke lüpften und auf deren drallen Backen man wohl eine Erbse zerdrücken konnte. Wer die beiden so nebeneinander sah, konnte leicht erraten, wer der Herr im Hause sei.

Vater Höhrle nahm die Hand der Entbundenen und sah ihr mit den demütigen Augen in das breite Antlitz, das auch durch das Weh des Geburtsaktes nichts von seiner Energie verloren hatte. »Mutter«, begann er weitausholend, »sieh doch, was der Junge für kräftige Fäuste hat.«

»Was willst du damit sagen«, entgegnete die Angeredete, und ihr Blick nahm dabei etwas Lauerndes an, wie das Auge eines Fechters, der den Hieb erwartet und ihn mit dem Hiebe zu parieren gedenkt.

»Nun doch,« fuhr er ruhig fort, »das Haus braucht auch einmal eine kräftigere Faust, als die meinige ist, und der Pflug und die Egge wollen geführt sein.«

»Ah,« platzte sie höhnisch heraus, »denkst du, mein Kind soll hinter den Riegelwänden deiner Bude wie die Schwänze deiner Kühe hin- und herpendeln. Daraus wird nichts!«

»Willst du das Kind hinaustreiben und in der Ferne finden lassen, was es hier ungesucht haben kann?«

»Soll er sich zu einem Gerippe herunterrackern wie du,« schrie sie zornig, »daraus wird nichts. Der Junge studiert und wird ein hochwürdiger Herr, und wenn er’s nicht zum Bischof bringt, ein Pfarrer wird er jedenfalls.«