Es ist späte Nacht. unermüdlich und immer hell brennt die treue Lampe, aber das Zimmer ist dunkel, wenn ich aufschaue. Der Schirm drängt alles Licht auf den Folianten vor mir.
Ich lese und lese weiter. Die Welt ist um mich verschwunden. Meine Blicke und Gedanken haften auf den grauen Blättern mit halb verblichenem Druck, die der Zufall mir in die Hand geführt.
Große, bewegte, thatkräftige Zeit, in die sich der Geist gern aus der Bedrängniß der Gegenwart rettet! Zeit kühner, waghalsiger, aufopfernder Männer, Männer mit eisernen Muskeln und eisernen Herzen – Zeit der Reformation und der Entdeckung des fernen wunderbaren Erdtheils – o, welch’ ein Reiz ist es, Alles zu vergessen und ganz in dir zu leben, den schlichten, einfachen Worten jener Männer zu lauschen, die wenig sprachen und noch weniger schrieben, aber viel handelten – deren Name kaum auf die Nachwelt gedrungen ist, und die dennoch mit den Argonauten und den Wikingern wetteiferten – welch’ ein Reiz ist es, unter diesen hohen Gestalten zu leben, mit ihnen dahin zu schreiten über Fluren, die nie der Fuß eines Europäers betrat, mit ihnen Ströme hinaufzuschiffen, die nie vorher ein Senkblei ergründete, und jene duftigen Ufer mit wunderbaren Menschen und wunderbaren Bäumen zu schauen, von denen nie zuvor der Mund eines Sterblichen uns berichtet!
Welcher Muth, welche Verwegenheit, welche Frische der Leidenschaften, welche Sorglosigkeit um gestern und morgen! Welch’ ritterlicher Sinn, welcher Trotz, welch’ grausame Starrheit des Herzens selbst! Eiserne Männer mußten es sein, die eine neue Welt unter das Joch der alten zwingen konnten, Männer, so unerbittlich wie der Stahl an ihrer Seite, grausame Männer, Tyrannen, Verächter des Blutes und des Lebens – aber doch Männer, würdige Söhne der Normannen, Bertrand’s du Guesclin und des Cid!
Und auch Ihr, muthige Kämpfer der Kirche, die Ihr mit jenen Helden zogt, um den fernen Heiden das Christenthum zu kündigen, nicht bloß mit Worten, auch mit dem Schwert, wenn es nöthig sei, nach alter herber Sitte – auch Ihr waret Männer! Wie gern lausche ich den schlichten Worten, mit denen Ihr große Thaten erzählt, wunderbare Abenteuer und gewaltige Heldenseelen schildert! Ich bin in einer andern Welt, wenn ich Euch höre. So sei es denn! Der Tag habe sein Recht, ihm gehöre die Gegenwart! Aber in der stillen Nacht will ich mit Euch träumen, will ich wieder ein Knabe sein und Euch lauschen, wie ich den Märchen meiner Wärterin lauschte! —
Der Tag ist schön, der Himmel blau, der Wind kräuselt leicht die Wellen; langsam schweben drei Fahrzeuge, mit den spanischen Flaggen geschmückt, über die Fluth, die in der Ferne, zur Rechten und zur Linken, duftige Ufer zeigt.
Auf dem Decke des größten, des vordersten Schiffes steht ein schlanker Mann, mit gebräuntem und tiefgefurchtem Gesicht. Unruhig späht sein Auge nach allen Seiten, zuweilen erhellt sich sein Blick, dann wird er wieder finster.
»Ich glaube, wir haben sie!« ruft er endlich. »Es ist die Durchfahrt. Laßt die Anker auswerfen! Dort an jener Insel!«
Es ist Don Juan Diaz de Solis, der Befehlshaber der Expedition, der mit der Hand nach einer flachen, weit ausgedehnten Insel deutet, auf der die Pinguine schwerfällig dahinflattern und die Robben neugierig die schlauen Köpfe emporstrecken, um die nie gesehenen Kolosse anzustaunen.
Es ist derselbe kühne Seefahrer, der mit Vincente Janez Pinzon eine verwegene, aber vergebliche Fahrt unternommen, und den man in den Kerker geworfen, weil er nicht so glücklich gewesen, als man erwartete.