Zu welcher Zeit die nachfolgende sonderbare Geschichte sich zugetragen, weiß ich nicht genau anzugeben; vielleicht war es vor dem Beginn unseres Jahrhunderts. Durch einen meiner Freunde ist sie mir mitgetheilt worden als eine wahre Begebenheit, welche er mehr als einmal aus dem Munde seines alten Großvaters gehört.
Demgemäß muß sie sich zugetragen haben in Tessenderloo einem abgelegenen Dorfe von Kempen, zwei Wegstunden von Meerhout.
Was ich vernommen, will ich nach bestem Vermögen jetzt hier in seiner ganzen Einfachheit wiedererzählen. An einem Sommernachmittag saßen ungefähr dreißig bis vierzig Kinder, Knaben und Mädchen, auf den verschlissenen Bänken der Schule von Tessenderloo.
Die Meisten sollten schreiben und hielten dazu die Feder in der Hand; die Kleineren mußten buchstabieren in den A. B. C. Büchern, die geöffnet auf ihren Knieen lagen . . . Doch war etwas Zerstreutes, Unaufmerksames in der gesammten kleinen Gesellschaft, und mancher Mund verzog sich zu einem muthwilligen oder gar spöttischen Lächeln.
In der Tiefe der Schale, vor einem Pult, saß der Unterküster und Lehrer Nikolaus Bol, welcher heute die Schule allein zu beaufsichtigen hatte, da der Schulmeister und Hauptküster, wegen wichtiger Beschäftigung in der Kirche, abwesend war.
Nikolaus der Unterlehrer war ein junger Mann von 24 Jahren, weder häßlich noch mißgestaltet, aber mit solchem hochrothen Haar, daß die kleinen Jungen, wenn er sie strafte, ihn leise den rothen Judas titulierten, etwas, das ihre älteren Brüder sich zuweilen sogar laut erlaubten.
In der gegenwärtigen Zeit ist das rothe Haar durch die Engländer zur Pariser Mode geworden, und so auch bei uns, die wir nichts besseres zu thun wissen, als die Pariser Grillen nachzuäffen. In Brüssel sieht man jetzt manche junge Dame die eitel und stolz darauf ist, mit feurigen Locken einherzuspazieren.
Früher, als ich noch ein Kind war, stand es damit ganz anders. Man mißtraute den fuchsigen Leuten und haßte und verachtete die Farbe ihres Haupthaares. Sollten nicht etwas die Maler dieses ungerechtfertigte Gefühl dadurch hervorgerufen und bestärkt haben, daß sie den verrätherischen Apostel stets mit rothem Haar abgebildet ?
Ohne Zweifel hatte die unglückliche Farbe seines Haars schon seit seiner Kindheit auf das Gemüth des Nikolaus Bot eine niederschlagende Wirkung geübt, denn gewöhnlich hielt er die Augen auf den Bodens gerichtet und war äußerst furchtsam und verlegen, ja so scheu, daß er roth vor Scham wurde, wenn Jemand ihn anredete. Auch mit den Schulkindern verkehrte er in einer weichen, fast ängstlichen Weise, selten erhob er die Stimme, und erfüllte im Allgmeinen seine Pflicht in einer Art leidender Gleichgültigkeit.
Was machte dem Unterlehrer nur auf einmal geschehn sein? Wem galten seine sonderbaren Mienen und Gebehrden? fragten die Kinder einander mit ihren verwunderten Blicken. Er bewegte die Lippen und lächelte so süß! sprach er etwa mit unsichtbaren Wesen?