Wispelbeck ist ein anmutiges Dörfchen. Ich hab es im im Herbst gesehen, wenn die Bäume um seine Höfe und Hütten unter der Last rot schimmernder Früchte sich beugen, wenn das Laub in bunten Farben prangt und die Luft mit purpurnem Dunst sich schmückt, wenn die Blätter zu fallen beginnen und dies traurige Vorzeichen des kommenden Schlafes der Natur den Dichter in düstere Träume versenkt . . . Ich hab es im Winter gesehen, wenn seine Felder unter der glänzenden Schneedecke verborgen liegen, wenn die Kinder vor der Schule auf der glatten Eisbahn gleiten, wenn die Luft von den Schlägen der Dreschflegel und von dem Knall der Jagdgewehre widerhallt . . . Ich hab es auch während des Frühlings gesehen, wenn die Nachtigallen die jugendliche Natur besingen, wenn Bäume und Kräuter sich in das zarteste Grün kleiden; wenn in allem, was lebt, das Gefühl der Sympathie und der Freundschaft kräftig und wild zugleich erwacht . . .
Jetzt ist es Sommer. Die durch den Schweiß des Menschen befruchtete Erde wird bald seine Arbeit belohnen. Über die Felder, aus deren Schoß das liebe Dörfchen sich wie eine Insel mitten in einem Kornozean erhebt, strahlt die Mittagssonne mit ihrer alles zur Reife dringenden Glut. Kein Lüftchen bewegt die gebogenen Ähren; alles ist bewegungslos und schweigend. Die Vögel sitzen ermattet unter dem Laube: selbst die kleinen Insekten, die sonst so gern sich in der Sonnenglut baden, sind nach kühleren Stellen geflüchtet.
Eine feierliche Stille scheint meilenweit über das Dorf gelagert. Kein Fuß betritt die Pfade, die, wie die Speichen eines ungeheuren Rades, aus Heide, Busch und Weilern gehn und sich durch das Getreide schlängeln, bis sie sich am Eingang des bescheidenen Kirchleins vereinigen, der Stätte, wo Aller Vorfahren ruhen, wo Aller Leben beginnt und endigt und wo in diesem Augenblick die Hoffnung und Dankbarkeit Aller in einer brüderlichen Harmonie zum Himmel aufsteigt . . . Ja, es ist Sonntag, der Tag der Ruhe und des Gebets. Die Dorfbewohner sind in die Kirche gegangen, um dem Gottesdienste beizuwohnen, und während sie mit gefalteten Händen Gott um eine reiche Ernte bitten, gibt der gütige Vater seiner Sonne die glühende Kraft, die die Nahrung für Arme und Reiche mit Lebensmark erfüllt.
Bald aber wird der letzte Ton des Loblieds unter dem Gewölbe des Kirchleins verklungen sein; dann wird das Dorf, nach Erfüllung der heiligen Pflicht, widerhallen von Freudenrufen und auf die Stille des Gebets werden laute Festklänge folgen . . .
Sieh, da strömt die Menge aus dem Tempel. Es ist ein buntes Gewimmel von Frauen mit Spitzenhauben und rothen Halstüchern, von Männern mit blauen Kitteln, von Kindern mit blonden Lockenköpfen und blühenden Wangen.
Da durchzuckt es auf einmal die bewegte Schaar; aus jedem Angesicht glänzt ein Lächeln des Glücks: Die Trommel geht! Da macht der Weibel der St. Sebastiansgilde wirbelnd die Runde um die Kirche; er hebt die kraftvollen Arme hoch über sein Haupt und läßt sie mit solcher Macht niederfallen, als wollte er das donnernde Eselsfell in Stücken schlagen. – Der Mann ist gar seltsam ausstaffiert; auf seinem Kopfe sitzt ein gewaltig großer Schützenhut, worauf eine rothe Feder mit grüner Spitze hin und her schwankt; Rock und Beinkleider sind mit gelben Tressen besetzt; er trägt weiße Strümpfe, über die Knieen mit Schnüren von Rauschgold befestigt; himmelblaue Bänder verzieren seine Schuhe. Seine ganze Brust und ein Theil des Rückens sind mit silbernen Gegenständen behangen; das vornehmste Stück darunter ist ein Schild, worauf das Bild von St. Sebastian eingegraben ist; ringsherum schimmern Ehrenpfennige, silberne Löffel, Becher, ja sogar eine Pfefferbüchse und zwei Zuckerzangen. Es sind die Preise, welche die Gilde seit ihrem Bestehen aus andern Dörfern mit der edlen Armbrust errungen hat; diese Denkzeichen der gemeinschaftlichen Siege machen einen Theil von der Festtagsuniform des Gildweibels aus und er wird sie auch ferner tragen, und müßte er auch bei neuen Triumphen der Gesellschaft einmal darunter zusammenbrechen.
Während er den geräuschvollen Aufruf an die Schützen bis zu den äußersten Grenzen der Gemeinde hinträgt, und die Kinder jauchzend vor ihm her tanzen, kehrt ein Theil der Einwohner nach Hause zurück; die Übrigen begeben sich durch eine Linden-Allee bis vor ein großes Wirthshaus, dessen Giebel mit Blumen und Laubkränzen geziert ist und aus dessen oberstem Fenster die dreifarbige Fahne herniederhängt. Man zeigt einander ein Chronogramm, das seine rothen und schwarzen Buchstaben über der Thür sehen läßt; die alten Leute zählen an den Fingern nach, ob der Küster sich bei der Zusammenstellung der Jahresschrift nicht geirrt hat; einige junge Leute lachen über die Verse, die darunter zu lesen stehen:
»Von Silber eine Doos’ schenkt er der Gild als Preis beim
Schießen;